TAM-Wochenblatt Ausgabe 17 KW20 | 19.05.2011 |
Eigentlich fing ja alles vor den Bundestagswahlen an: Guido Westerwelle führte den Wahlkampf für die FDP (2009 wurde er mit 95,84 % der abgegebenen Stimmen zum Partei-Vorsitzenden gewählt, Philipp Rösler erhielt am diesjährigen Freitag den 13. im Vergleich 95,08 %) und erzielte ein schon lange nicht mehr dagewesenes Ergebnis für die Partei. Doch bereits bei den Koalitionsverhandlungen hagelte es intern Kritik: Anstelle des wichtigen Postens des Bundesfinanzministers wählte er jenen des Aussenministers. Nachdem er in beinahe jedes sich bietende politische Fettnäpfchen getreten ist, war mit seiner Stellung zur Libyen- Krise und den verloren gegangenen Landtagswahlen Schluss mit lustig. Westerwelle wurde als nicht mehr tragbar und sogar parteischädigend abgestempelt - sein Rüchtritt ihm förmlich aufgezwungen. Dieser hatte jedoch vorgesorgt und seine möglichen Nachfolger bereits aufgebaut. Deshalb kam es auch zu keiner Palastrevolte! Einige Jahre früher als eigentlich erwartet, haben diese nun das gelbe Ruder übernommen. Doch - sind sie denn schon reif dafür? In den Ministerien für Wirtschaft und Gesundheit wurde eine Personalrochade durchgeführt. Doch - kehrt ein neuer Besen wirklich besser als der alte? Sicherlich können die bisherigen Amtsinhaber nicht wirklich grosse Erfolge vorweisen - auch Vorsitzender Rösler nicht, der sich als zuständiger Bundesminister bei der Vereinfachung des Gesundheitssystems immer wieder in festgefahrenen Strukturen verbissen hatte. Deshalb muss nun das Programm der Partei grundlegend überarbeitet werden. Ziele gehören gesetzt, neue Wege beschritten. Hierfür ist künftig Generalsekretär Christian Lindner zuständig. An ihm wird es auch liegen, dass die Basis das Vertrauen zur Führungsspitze zurück erhält, wurden doch von den grossen Wahlversprechen praktisch keine umgesetzt: Steuern wurden nicht wirklich merkbar gesenkt, der Mittelstand nicht wesentlich entlastet. Und der Bürokratiedschungel ist nach wie vor derselbe. Dabei wäre es nun so einfach vorzustossen. Angela Merkel musste mit den Unions-Parteien einen merklichen Richtungswechsel in die grüne Ecke vornehmen, um durch die Ereignisse der letzten Zeit (insbesondere durch die Atomkatastrophe von Fukushima) nicht auch den letzten umwelt- und klimapositiven Wähler der CDU/CSU an die Grünen zu verlieren. Dadurch sind die klassisch-bürgerlichen Themen frei geworden. Diese zu nutzen, könnte sehr viele Stimmen vom Koalitionspartner bringen. Doch bedarf es hierfür guter Politiker, die die Chance erkennen und etwas daraus machen können. Solch gewiefte Taktiker der Marke Hans-Dietrich Genscher oder Otto Graf-Lambsdorff gibt es bei den Liberalen nurmehr ganz wenige - die Persönlichkeiten sind ausgegangen oder werden vorher klein gemacht, da sie unbequem werden könnten! Brave Parteisoldaten und Segel, die sich nach der Richtung des Windes drehen, helfen nicht, Wahlen zu gewinnen. Diese Erfahrung mussten zuletzt vor allem die Landesorganisationen der FDP machen. Eine einzige Frau schaffte es in Hamburg, gegen den Trend zu schwimmen: Katja Suding straft den gelben Männerchor Lügen! Der Liberalismus sollte wieder zurückfinden zum Querdenkertum, zur Nonkonformität. Denn nur so kann dem Wort "Freiheit" neue, zeitgemässe Flügel angepasst werden. Ob dies allerdings der neuen Führungsriege gelingen wird, wirft bei so manchem Polit-Experten nachdenkliches Stirnrunzeln auf. Schliesslich wurden die Leute mit Erfahrung wie Birgit Homburger sozusagen in die Wüste versetzt (sie ist jetzt nurmehr eine von drei stellvertretenden Parteivorsitzenden) oder sind selbst zurückgetreten, wie Silvana Koch-Mehrin (Plagiatsvorwürfe). Einzig Rainer Brüderle konnte sich halten, was nicht verwunderlich ist, gehört er doch diesem Schaumburger Kreis an. Partei-Chef Rösler glänzte in seinem Ressort nicht gerade mit Entscheidungsfreude. Vize-Fraktionschef Martin Lindner wollte gar der Vergangenheit in persona Guido Westerwelles den Todesstoss versetzen und über dessen Parteizukunft abstimmen lassen. Ein solches Verhalten sei "unter jeder Kanone", reagieren sehr viele - nun wird darüber diskutiert, ob denn Lindner der Richtige für diesen Posten ist. Er hatte im zweiten Wahlgang gegen die sozial-liberale Miriam Gruss aus Bayern gewonnen - mit vier Stimmen Vorsprung. Auch Lindner gehört dem Schaumburger Kreis an. Den Jungen fehlt die Erfahrung, jedoch kann sich die FDP einen Jugend-forscht-Stil derzeit keineswegs erlauben. Die Bürgerschaftswahlen in Bremen werden ein erstes, allerdings kleines Signal setzen (hier war bislang ohnedies nur Willy Wedler vertreten). Im kommenden Herbst allerdings stehen mit den drei grossen Brocken Mecklenburg-Vorpommern, Niedersachsen und Berlin die nächsten Landtagswahlen ins Haus. Sollten auch diese verloren werden, hat das liberale Berlin im Hohen Haus den Kontakt zur Basis wohl gänzlich verloren. Dann wird die FDP höchstwahrscheinlich auch im Bundestag schon sehr bald Geschichte sein. |
Eine Stunde lang spricht Klaus Wowereit beim Landesparteitag der Berliner SPD zu seinen Parteigenossen und -innen. Es ist eine flammende Rede, die er in der alten Fabrikshalle am Gleisdreieck über die Errungenschaften der 10 Jahre Sozialdemokratie in der Bundeshauptstadt hält. Kurz danach wird er einstimmig (!) als SP-Spitzenkandidat für die Landtagswahlen am 18. September nominiert. Alles andere ist nurmehr Stuck - das meinen auch sehr viele der rund 1.000 Teilnehmer des Parteitags und verlassen erfreut den Saal. Doch machte ein anderer im Umfeld dieses Treffens noch wesentlich mehr von sich Reden: Peer Steinbrück! Im Hessischen Rundfunk meinte der ehemalige Finanzminister: "Der Zeitpunkt wird kommen, wo ich mich in Absprache mit zwei oder drei Führungspersönlichkeiten der SPD darüber zusammensetze!" Gemeint ist damit eine mögliche Spitzenkandidatur bei den Wahlen zum 18. Bundestag 2013! Sehr früh - das betonen auch seine Parteikollegen, die diesen Fauxpas sofort mit harscher Kritik quittierten. Als erste meldete sich die Generalsekretärin der SPD, Andrea Nahles zu Wort: Selbstausrufungen entsprechen nicht der Vorstellung einer modernen demokratischen Partei. Auch Steinbrücks internen Gegner, dem linken Flügel, gefallen solche Äuserungen ganz und gar nicht. So meinte deren Sprecher Björn Böhning, dass solche Äusserungen nur Zeitungen bewegen würden, nicht jedoch die Menschen (Steinbrück gehört übrigens dem rechten Parteiflügel an). Doch - der 64-jährige ist nicht etwa alleine vorgeprescht. So eröffneten schon vor geraumer Zeit Thomas Oppermann, aber auch Parteichef Sigmar Gabriel die Diskussion: Sie könnten sich durchaus Steinbrück als möglichen Kandidaten für das Amt des Bundeskanzlers vorstellen. Doch falle die Entscheidung frühestens Ende 2012. Peer Steinbrück bekleidete von 2005 bis 2009 die Position des Bundesfinanzministers in der grossen Koalition. Nach der sozialdemokratischen Wahlniederlage bei den Bundestagswahlen (SP-Spitzenkandidat war damals Frank-Walter Steinmeier) setzte er sich für die vermehrte Involvierung der Arbeitnehmer-Interessen und eine Stärkung der sozial Schwachen ein. Daneben forderte er, die einseitige Fokkussierung auf die Sozialpolitik aufzugeben. Damit allerdings begab sich Steinbrück voll in die Schusslinie seines Parteivorsitzenden Gabriel, obgleich er bei den Beliebtheitswerten in der Bevölkerung sowohl diesen als auch die Kandidatin der Union, Angela Merkel hinter sich liess. Nach parteiinternen Querelen legte er seine Ämter nieder und erregte erst wieder 2011 Aufmerksamkeit, als er im März des laufenden Jahres eine vielbeachtete Rede zur Eurokrise im Deutschen Bundestag hielt. Seine Partei überliess ihm hierfür die komplette Redezeit der SPD. Steinbrück hat sich im Laufe seiner Karriere des öfteren gegen die offiziellen Parteiinteressen gestellt. So machte er keinen Hehl aus seinen Wertschätzungen zu Angela Merkel (CDU). Mit Gastprofessuren oder gut bezahlten Vorträgen vermittelte er ferner nicht wirklich den Eindruck eines sozialdemokratischen Puristen. So fehlte er etwa auch seit 2009 bei sehr vielen für die SPD wichtigen Abstimmungen im Deutschen Bundestag. Den Vogel aber abgeschossen hatte er mit seiner Vorgehensweise beim schweizerisch-deutschen Steuerskandal 2009, als er die Schweiz, Luxemburg und Österreich in Sachen Bankgeheimnis in einem Zug mit Ouagadougou, der Hauptstadt von Burkina Faso nannte. Steinbrück war unbequem geworden, weshalb er selbst die Konsequenz gezogen hatte, die ihm allerdings höchstwahrscheinlich auch nahegelegt wurde. Umso verwunderlicher erscheint es, dass ausgerechnet Parteichef Gabriel ihn wieder ins Spiel gebracht hat. Und Steinbrück lässt sich alle Optionen offen. Im Interview mit hr1 drückte er auch seine Hoffnung aus, ein guter Verlierer sein zu können. Er übe dies ja auch zu Hause, wo er ständig Im Scrabble gegen seine Frau unterliege. |
Autor: Ulrich Stock
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