In Ostafrika tobt die härteste Dürrekatastrophe seit 60 Jahren. In Äthiopien, Dschibuti, Kenia, dem Sudan und Uganda, v.a. aber in Somalia fehlen Nahrungsmittel. Hunderttausende sind auf der Flucht, Zehntausende am Hunger bereits verendet. Das Kinderhilfswerk UNICEF spricht von mehr als einer halben Million Kinder, die gegen den Tod kämpfen. Alleine im Flüchtlingslager in der somalischen Hauptstadt Mogadischu haben rund einhunderttausend Menschen Zuflucht gesucht. Doch bedeutet es für die Flüchtlinge noch lange nicht, dass sie durch das Erreichen eines solchen Lagers ihr Leben gerettet haben. Derzeit etwa sind im Camp Kobe an der äthiopisch-somalischen Grenze die Masern ausgebrochen. Die Kombination zwischen dieser an sich harmlosen - aber hochinfektiösen Kinderkrankheit und der akuten Unterernährung kann tödlich sein. Die ersten Opfer sind bereits zu beklagen. Nach Angaben der UN benötigen nicht weniger als 3,2 Mio. Menschen in Somalia sofortige medizinische bzw. lebensrettende Maßnahmen. Das ist so gut wie jeder zweite Einwohner des Landes. Weltweit wird gesammelt, die Weltbank hat nicht weniger als 12 Mio. US-Dollar an Übergangs- und Soforthilfe bereitgestellt, weitere 488 Mio. sollen in längere und nachhaltige Projekte fließen. Deutschland hat ebenfalls bereits 30 Mio. € an Soforthilfe geleistet, die EU insgesamt 160 Mio. €. Doch: Die dringend benötigten Hilfsgüter und Medikamente kommen gerade dort, wo sie am meisten gebraucht werden - in den Lagern von Somalia - nicht an. Dieser Tage erst starben bei der Plünderung eines UN-Lebensmittel-Hilfstransportes durch Regierungstruppen und Anwohner 10 Menschen. Das Land wird seit 20 Jahren von einem Bürgerkrieg erschüttert. In mehreren Regionen im Süden und dem Zentrum, zuletzt auch in Teilen von Mogadischu selbst, regieren die islamistischen al-Shabaab-Milizen. Sie haben immer wieder Hilfsgütertransporten die Weiterfahrt untersagt oder sie gar ausgeraubt. Auch für das Personal der internationalen Hilfsorganisationen ist der Boden zu heiß geworden. Die Kämpfer des al-Qaida-Ablegers werden nicht müde zu betonen, dass die Retter sich im Land nicht frei bewegen dürfen. Nur etwa Mitarbeiter der Organisation Ärzte ohne Grenzen werden mancherorts geduldet. Die UN-Hilfsorganisationen müssten von der Durchsetzung "ihrer politischen Agenda" abgehalten werden, lautet es in der Propaganda der Rebellen. So seien die jüngsten Berichte der "so genannten Vereinten Nationen...zu hundert Prozent eine Lüge!" Scheich Ali Dhere meinte erst kürzlich in einem TV-Interview, dass es zwar eine Dürre aber keine Hungerkatastrophe im Lande gebe. "Eine Hungersnot konnte mit Hilfe von somalischen Unternehmen und Gemeinschaften abgewendet werden!" (Quelle: PBS) 1992 wurde der Diktator Siad Barre gestürzt. Seither regieren in Somalia Anarchie und Terror. Die Regierungen in Mogadischu waren durchwegs Übergangsregierungen. Die al-Shabaab kämpft für die Errichtung eines islamischen Gottes-Staates, der sich am weltweiten Dschihad beteiligt. Sie kooperiert seit 2008 mit dem Terroristen-Netzwerk der al-Qaida. Dies spiegelt sich in der Taktik der Miliz ebenso wieder wie in deren Propaganda. Immer wieder werden somalische Rundfunk- und TV-Stationen gezwungen, Video- oder Audio-Botschaften auszustrahlen. Der größte Radiosender des Landes, Radio Jowhar, übernimmt für eine Stunde täglich ein von al-Shabaab selbst produziertes Programm. Unliebsamen Berichterstattern wird sehr häufig noch vor Ort der Prozess gemacht. Immer wieder seien gefallene Rebellen in andere Bekleidung gesteckt und behauptet worden, dass es sich um zivile Opfer der Regierung von Mogadischu oder der Friedenstruppen der Afrika-Union Amisom handle. Daneben erhalten die Terroristen auch regelmäßige Waffenlieferungen. Bei Dürre sind die Nomaden darauf angewiesen, ihre Viehherden weitertreiben zu können. Dies jedoch wurde durch die al-Shabaab immer wieder verhindert. Viehhirten, die ihre Tiere nicht an die Terroristen aushändigen wollten, wurden öffentlich geköpft, berichtet die Gesellschaft für bedrohte Völker. So stellt auch deren Afrika-Referent Ulrich Delius dar, dass es zu wenig ist, "nur Hungerhilfe zu leisten, um das Massensterben in Somalia aufzuhalten!" Die Menschenrechtsorganisation Amnesty International hat immer wieder in den letzten Jahren gewarnt, dass jene Kinder, die nicht am Hunger zugrunde gehen, als Kindersoldaten rekrutiert, zu Zwangsarbeit herangezogen oder mit Rebellen zwangsverheiratet werden. Der Kampf um Mogadischu wird immer erbitterter. So haben regierungsloyale und Amisom-Truppen die Hauptstadt zuletzt rückerobern können. Bei den radikal-islamistischen Rebellen wird von einem taktischen Rückzug gesprochen, Vermutet wird, dass der Kampf künftig als Guerilla-Krieg fortgesetzt wird. Vergeltungsmaßnahmen wurden angekündigt. Die Hilfsorganisationen atmen auf, ist doch die Regierung von Sheikh Sharif Sheikh Ahmed pro-westlich eingestellt. Nun können direkt von Norden her Hilfslieferungen zumindest in die Hauptstadt eingeflogen werden. Davon unbetroffen allerdings bleiben die Gebiete im Süden. Experten rechnen dort gar noch mit einer Verschlimmerung der Lage bis zum Dezember. Die Direktorin des Welternährungsprogrammes der Vereinten Nationen (WFP) Josette Sheeran bringt die Tragik der Situation gegenüber der einberufenen UN-Krisensitzung in Rom auf den Punkt: "Wir sind sehr besorgt um die Kinder. Viele von Ihnen haben weniger als 40 Prozent Überlebenschance." Im größten Flüchtlingslager der Erde, im kenianischen Dadaab stieg die Todesrate von Unter-5-Jährigen von 1,2 auf 1,8 pro 1.000 Kinder. Dies betrifft aber nur jene, die in den medizinischen Zentren des Lagers sterben. Die Dunkelziffer liegt weitaus höher. Das Lager wurde ursprünglich für 90.000 Menschen gebaut - inzwischen vegetieren hier über 400.000 dahin. Täglich kommen etwa 1.300 unterernährte Somalier aus dem Süden des Landes hinzu. Ulrich Stock
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TAM-Wochenblatt Ausgabe 23 KW 32 | 11.08.2011 |
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