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Online-ZeitungSPD-Parteitag - Geschlossen gegen Merkels Union |
07.12.2011 |
Die Halle platzt aus allen Nähten - viele müssen die Rede des Altkanzlers Helmut Schmidt beim ordentlichen Parteitag der SPD im Stehen mitverfolgen. Und was sie da zu hören bekommen, gleicht einer politischen Lehrstunde. Über 76 Minuten hinweg redet die mahnende Stimme der deutschen Sozialdemokratie seinen "lieben Freunden" (nicht Genossinnen und Genossen) ins Gewissen. Als der 92-jährige ausgesprochen hat, was hat ausgesprochen werden müssen, und im Rollstuhl von der Bühne geschoben wird, brandet tosender Applaus auf - sechs Minuten lang! Schmidt zündet sich unterdessen genüsslich eine Zigarette an. Er hat es wieder einmal geschafft. Und das nach 13 Jahren Parteitag-Abstinenz. Durch sein flammendes Bekenntnis zu einem gleichberechtigten Europa brachte der Hamburger die zerstrittene Partei geeint wieder auf Linie. Der weise Mann hat gesprochen und dafür wohl für den Höhepunkt auf diesem Parteitag gesorgt - schon gleich nach dessen Eröffnung. Unwichtig erscheint daneben die Wahl Sigmar Gabriels zum Partei-Vorsitzenden zwei Tage später. Der Alt-Kanzler hat seinen Mitstreitern im ehemaligen Postgüterbahnhof in Berlin-Kreuzberg Kraft gegeben. Kraft, um die Partei wieder "kampffähig" zu machen. Jetzt soll das Denkmal Merkel ins Wanken gebracht werden! Dringlichstes Ziel dieses Parteitages war es, wieder Ruhe in die SPD zu bringen. Uneinigkeit etwa herrscht nach wie vor bei der Frage des Spitzenkandidaten für die Bundestagswahlen im September 2013. Einerseits Peer Steinbrück, der auch von Schmidt favorisiert wird, andererseits Frank-Walter Steinmeier. Zu diesem Thema hatte sich zuletzt auch Altkanzler Gerhard Schröder eingebracht, als er die Vermutung äußerte, dass in diesem Triumvirat Gabriel, Steinmeier und Steinbrück bereits alles entschieden sei. Steinbrück hat übrigens unmissverständlich zu verstehen gegeben, dass er für eine Koalition mit der Merkelschen Union nicht zur Verfügung stehe. Neben der Kanzlerkandidatur, die nach der Landtagswahl von Niedersachsen im Januar 2013 bekannt gegeben werden soll, ist es v.a. die Steuer- und Rentenfrage, die von den Parteilinken ins Laufen gebracht wurde. Sie forderten einen Spitzensteuersatz von 50 +. Dies aber will die Parteispitze verhindern, da durch eine solche Maßnahme sehr viele Wähler verschreckt würden. In einem solchen Falle hätte wohl auch Steinmeier seine mögliche Kandidatur zurückgezogen. Konsens verhinderte den Linksruck: |
Einstimmige Votings gab es beim Spitzensteuersatz (von derzeit 42 auf 49 %), der Abgeltungssteuer auf Kapitalerträge (von 25 auf 32 %) sowie der Absenkung der Altersbezüge von gegenwärtig 50 auf 43 %. Wäre hier keine Einigung erzielt worden, so läge wohl alles an Gabriel, die Situation wieder zu kitten. Der 52-jährige wurde mit 91,6 % als Parteivorsitzender bestätigt (2009 erhielt er noch 94,2 %). Als mögliches Zeichen in der Integrationspolitik der Partei wurde die Bundestagsabgeordnete Aydan Özoguz zur Vizevorsitzenden gewählt, eine Deutsche mit türkischen Wurzeln. Auch parteiintern wird es in den nächsten Wochen zu einigen Umstellungen kommen. Das Parteipräsidium fällt dem Rotstift zum Opfer, der Vorstand dezimiert sich von 45 auf 35 Mitglieder. Daneben wird der Basis mehr Mitspracherecht bei der Besetzung von Ämtern und Mandaten eingeräumt. Bei Bundestagswahlen kommen vermehrt die Frauen zum Zuge. Über das sog. "Reißverschlusssystem" sollen wechselweise Männer und Frauen aufgestellt werden. Im Rahmen der Energiewende wird den Stadtwerken gegenüber den großen Energiekonzernen mehr Bedeutung zufließen. Die SPD spricht von der umfassendsten Reform der letzten 20 Jahre, dem auch die Parteifarbe zum Opfer fiel: Aus rot wird waldbeeriges Purpur. Auf Antrag von Berlins regierendem Bürgermeister, Klaus Wowereit, wurde eine Resolution erstellt, wonach mögliche gesetzliche Möglichkeiten überprüft werden sollen, um die NPD zu verbieten. Nordrhein-Westfalens Ministerpräsidentin Hannelore Kraft fordert hier einen "Aufstand der Anständigen im Land"! Mit vereinten Kräften müsse gegen die braune Gefahr vorgegangen werden. Daneben setzt sie sich auch für eine genauere Überprüfung der Arbeit des Verfassungsschutzes und der Polizei ein. Friede, Freude, Eierkuchen also in der SPD. In einem Punkt jedoch wird die Ikone der deutschen Sozialdemokratie, Altkanzler Helmut Schmidt, wohl Lügen gestraft: Wenn mit Standard & Poor's eine der drei allmächtigen Rating-Agenturen Deutschland aufgrund der Eurokrise die TripleA-Bonität streicht! In diesem Fall saß die von Schmidt angeprangerte "globalisierte Bankenlobby" doch am längeren Hebel - dann stecken wir wohl doch in einer Krise! Ulrich Stock |
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