Nach dem verheerenden Erdbeben und dem anschliessenden Tsunami in der nordöstlichen japanischen Region konnten die Brennelemente der beiden Atomkraftwerke Fukushima I und II nicht mehr ausreichend gekühlt werden, da der Strom fehlte. Die Brennstäbe ragten zeitweise um bis zu 3 m aus dem Kühlwasser. Während Fukushima II rasch wieder in den Griff gebracht werden konnte, hat die Kernschmelze im Schwestern-Kraftwerk bereits begonnen. Unheimliche Kräfte wurden freigesetzt, die auch drei der sechs Reaktoren offenbar brechen liessen. Mangels Kühlmöglichkeit wurde Meerwasser verwendet. So leiteten die Einsatzkräfte 18 Tonnen Meerwasser in das siedend heisse Abklingbecken des Blocks 2 ein. Hier lagern 2.000 Tonnen radioaktiven Materials. Dadurch konnte die Temperatur auf 50 Grad gesenkt werden. Heftige Kritik kommt inzwischen von Experten: Durch die Hitze verdampft zwar das Wasser, das Salz jedoch bildet eine Kruste um die Brennelemente, sodass diese mit normalen Methoden nicht mehr richtig gekühlt werden können. Der Dampfablass zum Druckausgleich und nicht zuletzt auch das Zurückfliessen des Löschwassers haben nun zu einer starken Kontamininierung des Meerwassers geführt. So ergaben Messungen der Betreibergesellschaft Tepco in der vergangenen Woche einen Strahlenwert, der den zulässigen Grenzwert um das 1.250fache überschreitet. Würde ein Mensch einen halben Liter dieses Meerwassers trinken, so hätte er die komplette Jahresdosis an radioaktivem Jod zu sich genommen. Diese Werte nehmen noch zu, da in den Kellern unterhalb der Reaktoren das verseuchte Wasser zeitweise bis zu 1m50 hoch gestanden hat - es wurde inzwischen grossteils abgepumpt. Dabei stiessen aber Einsatzteams auf verseuchtes Wasser, dessen Werte um einige Millionen Mal über den Grenzwerten liegen (erste Angaben des Betreibers - sie wurden nun auf einige Hunderttausend Mal korrigiert). Dieses Wasser muss entweder aus dem Reaktorkern oder aus dem Abklingbecken stammen. Und die schlechten Nachrichten reissen nicht ab: Nun werden auch Defekte am Reaktor 3 gemeldet. Dieser beinhaltet sog. Mischoxid-Brennstäbe, die mit Uran und Plutonium angereichert sind. Plutonium ist ein hochradioaktives und extrem giftiges Schwermetall mit einer unheimlich langen Halbwertszeit (24.110 Jahre bei Plutonium 239). Sollte dieses austreten, so nimmt die Strahlung in der Umgebung des Atommeilers schlagartig zu - dann wird auch das Grundwasser erheblich kontaminiert. Nachdem in der japanischen Hauptstadt Tokio inzwischen der Strahlungswert des Leitungswassers bei beinahe dem 2,5-fachen Grenzwert für Kleinkinder liegt (Grenzwert: 100 Becquerel Jod 131), verteilen die Behörden Mineralwasser für Familien mit Kindern. In all diesem Chaos versuchen nach wie vor Experten und Arbeiter die Schäden so gering wie möglich zu halten. Bislang gab es nach Angaben der Nachrichtenagentur Kyodo 17 verstrahlte Arbeiter - zuletzt zwei beim Reaktor 3, die ohne Schutzstiefel in Wasser mit 10.000fach erhöhter Strahlung gestanden sind. Sie dürften im Beinbereich eine Strahlendosis von vermutlich 2.000 bis 6.000 Millisievert abbekommen haben. Doch zeigen sie derzeit noch keine Symptome der Strahlenkrankheit. Berücksichtigt wurden bislang nur Unfälle mit reiner Radioaktivität von mehr als 100 Millisievert; dies entspricht etwa der Jahresbelastung eines AKW-Mitarbeiters. Den Angestellten der Betreiberfirma Tepco wird es nach eigenen Angaben freigestellt, ob sie weiterarbeiten. Den zahlreichen Mitarbeitern der Drittfirmen bleibt nichts anderes übrig. Auch die drei letzten Unfallopfer waren von einer Drittfirma. Das medizinische Japan bereitet sich einstweilen für die Behandlung einer weitaus grösseren Zahl von Strahlenopfern vor. Notfallpläne beispielsweise sollen für die Verteilung der Opfer auf alle Krankenhäuser im Land sorgen. Diese Menschen werden zwischenzeitlich in Japan wie Nationalhelden verehrt. Schliesslich ist es ihnen zu verdanken, dass Fukushima nicht sofort zu einem Supergau wurde und dass nun in den Reaktoren 1-3 wieder die Kühlung durch Strom erfolgen kann. Derzeit arbeiten Teams von 50 bis 200 Arbeitern im Havarie-Kraftwerk. Im Vergleich dazu wurden beim Supergau von Tschernobyl rund 5-800.000 Menschen eingesetzt, von welchen etwa 10.000 an den unmittelbaren Folgen der Strahlung verstarben. Die Strahlendosis lag damals bei dauerhaften 1.000 bis 10.000 Millisievert. Diese Tatsache wurde den Arbeitern aber verschwiegen. In Fukushima werden die Trupps nur für eine gewisse Zeit der Strahlung ausgesetzt und werden dann wieder abgezogen. Die Strahlenhöchstgrenze ist inzwischen von 150 auf 250 Millisievert angehoben worden. Durch die Probleme bei den Reaktoren 2 bzw. 3 geraten die Arbeiten immer wieder ins Stocken. Doch auch diese Strahlenwerte haben selbstverständlich Auswirkungen auf die Lebenserwartung der eingesetzten Menschen, die durch ihre Arbeit Millionen anderen das Leben retten. Bei guter medizinischer Betreuung werden auch sie ein "normales" Lebensalter erreichen, meinen Experten. Die japanischen Behörden stuften die Atom-Katastrophe inzwischen als einen INES5-Störfall ein, die Umweltorganisation Greenpeace allerdings spricht von der Stufe 7. Auch Europa ist von Fukushima betroffen. So wurden mit höchst-sensiblen Messgeräten radioaktive Partikel nachgewiesen, die allerdings in dieser Dosis absolut ungefährlich sind. Gleichzeitig haben sehr viele Staaten eine Importbeschränkung oder -sperre von Lebensmitteln aus Japan in Kraft gesetzt. UN-Generalsekretär Ban Ki Moon fordert weltweit gültige Konsequenzen. Zum Schutz von Gesundheit, Nahrungsmitteln und der Umwelt müssten strenge Vorgaben für die Atomindustrie gelten. Ulrich Stock |
TAM-Wochenblatt Ausgabe 11 KW 13 | 30.03.2011 |
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