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Online-ZeitungOECD-Studie - Dolchstoss mitten in's Herz |
14.11.2012 |
Für ein lautstarkes Aufstöhnen in den Reihen der Wirtschaftsexperten sorgte dieser Tage die Studie "Looking to 2060" der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) zur Prognose der industriellen Produktion und damit der Projektion zur Wirtschaftsentwicklung. Und es wird sich wahrhaft einiges tun in den kommenden Jahrzehnten - leider nicht nur Gutes! Belegte Deutschland bei den Volkswirtschaften nach den USA, China, Japan und Indien im vergangenen Jahr noch Platz 5 (nach IWF sogar Rang 4), so lässt die Reihung nach Wirtschaftswachstum die ersten Vermutungen bereits laut werden: Indien führt mit 5,1 % vor China und den USA. Nach Frankreich (1,6) rangiert die deutsche Wirtschaft mit vergleichbaren 1,1 % an der 5. Stelle - mit Riesenabstand zum Erstgereihten. Die beiden Führenden werden in den kommenden Jahrzehnten bis 2060 noch kräftig zulegen und ihren letztjährigen Anteil am weltweiten Bruttoinlandsprodukt von 24 auf dann unglaubliche 46 % steigern. Gleichzeitig werden die 34 OECD-Mitgliedsländer ihren Anteil von derzeit 65 auf 43 % verkleinern. Verantwortlich dafür zeichnet vornehmlich die rapide Bevölkerungsalterung in den Industrienationen. Bei einem weltweiten Wirtschaftswachstum von 3 % werden in weiterer Folge Staaten wie Brasilien, Indonesien oder Mexiko den "Alten Kontinent" hinter sich lassen. So meinte auch der Generalsekretär der OECD, Angel Gurria, bei der Präsentation des Berichtes, dass die Weltwirtschaftskrise irgendwann überwunden sein dürfte, aber: "Die Welt, in der unsere Kinder und Enkel leben werden, wird sich von unserer heutigen Welt fundamental unterscheiden!" Den Regierungen hingegen hat er die Rute ins Fenster gestellt: Wer die Bereiche Bildung und Produktivität vernachlässigt hat, wird daran schwer zu kauen haben. Mit dem Bericht "Bildung auf einen Blick 2012" gab es bereits im September schlechte OECD-Noten für das Land zwischen Kiel und Garmisch-Partenkirchen. Jeder fünfte Jugendliche erreicht nicht mehr das Bildungsniveau seiner Eltern. Die Experten sprechen von einer "Abwärtsmentalität". Das wirkt sich auch in der Wirtschaft aus: Keine andere Nation wird dermassen viel an Marktanteilen verlieren, wie Deutschland. Minus 58 % - die Wirtschaftsleistung stürzt von gegenwärtig 4,8 auf dann nurmehr 2 % ab. Mit einem durchschnittlichen Wachstum von 1,0 bis 1,3 % geht es von Platz 5 hinunter auf Platz 10; vorbei an Brasilien, Indonesien, Mexiko, Russland und Frankreich. In diesem Negativ-Ranking folgen auf den Plätzen Luxemburg und Japan. Auch die USA werden fallen - um minus 28 %. Interessantes Detail: Die europäischen Krisenstaaten Griechenland, Portugal, Italien und Spanien verlieren zwar ebenso viel, jedoch nicht in einem solchen Umfang wie Deutschland. |
Stellt sich nun die Frage: Haben diese weniger zu verlieren oder haben die Regierungen aus ihren Fehlern gelernt und werden schlichtweg besser wirtschaften? Die großen Gewinner sind Indien (plus 176 %), Indonesien (plus 79) und natürlich China (plus 63 %), das die USA als führende Wirtschaftsnation bereits in vier Jahren abgelöst haben sollte. Damit könnten die beiden Länder am Ganges und Jangtsekiang gemeinsam bereits in 13 Jahren ein höheres Bruttoinlandsprodukt erarbeiten als die G7, die derzeit führenden Wirtschaftsnationen. Die Produktionsverlagerung in Billiglohnländern, die in den letzten Jahren stark forciert wurde, wird zusehends auch dort zu einer Verbesserung des Lebensstandards führen. So könnte das Pro-Kopf-Einkommen in den beiden angesprochenen Volkswirtschaften um das Siebenfache ansteigen. Sollten sich hingegen die Länder auf eine umfassende Arbeits- und Produktmarktreform einigen, so könnte das globale BIP jährlich um 0,3 % gesteigert werden, das Pro-Kopf-Einkommen würde im Jahr 2060 um 16 Prozentpunkte höher als im Basisszenario liegen, gibt Gurria zu verstehen. Als erstes hat Grossbritannien auf die Studie reagiert: Die ehemalige Kolonie Indien wird ab 2015 keine einzige britische Pfund mehr als Entwicklungshilfe erhalten. Indien investiert inzwischen selbst in grossen Umfang im ehemaligen Imperialland. Es sei Zeit, "die veränderte Rolle Indiens in der Welt anzuerkennen!", betont die Ministerin für Internationale Entwicklung, Justine Greening. Und es ist wahrhaft keine unerhebliche Summe: 2011 beliefen sich die britischen Entwicklungsgelder für Indien auf rund 280 Mio. Pfund. Paradoxerweise schickt auch Berlin noch regelmäßig Schecks nach Neu Delhi und Peking. In Indien herrscht in manchen Gebieten nach wie vor Hunger und Armut. Doch anstatt diese zu bekämpfen, werden die Gewinne im Ausland investiert. Wie lange die Entwicklungshilfe allerdings dem Druck der deutschen Bevölkerung standhalten wird, ist derzeit noch nicht abzuschätzen. Schließlich rechnen die Volkswirtschafter im letzten Quartal 2012 des deutschen Wirtschaftsjahres mit einem Minus von 0,2 % BIP. Es kriselt also langsam ebenfalls in Deutschland. Auch wenn die Industrie im Juli völlig unerwartet ein Plus beim Auftragsvolumen von 0,5 % einfahren konnte. Und der Außenhandelsüberschuss nach Berechnungen des Ifo-Instituts auf 210 Milliarden Dollar (171 Milliarden Euro) angestiegen ist - somit um 7 Milliarden Dollar mehr als bei China. Der Knackpunkt liegt in der Binnennachfrage: Bleibt diese so schwach wie augenblicklich, geht es bergab! (Ulrich Stock) |
OECD-Studie - Dolchstoß mitten ins Herz
Deutschland droht von Ländern wie
Brasilien und Indonesien überholt zu werden
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