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Online-ZeitungWie arm ist Europa? |
24.10.2012 |
Fortsetzung:
Wie arm
ist Europa?
Europaweit wird für die Berechnung der Armutsgefährdung das tatsächlich erzielte Einkommen aller Haushaltsmitglieder herangezogen. Somit auch die staatlichen Zuwendungen wie Kinder- oder Arbeitslosengeld bzw. die Sozialhilfe. Besonders stark betroffen sind von der Armut Frauen ab 65 Jahren. Gerade in den kommenden Monaten bekommen wieder sehr viele ihre triste Situation beinhart zu spüren, steht doch der heizkostenaufwendige Winter ins Haus. Armut ist zumeist multikausal, hat also mehrere Ursachen. Bei den Auswirkungen sprechen die Experten auch gerne vom Armuts- oder Teufelskreislauf, bei welchem eine Konsequenz die Ursache für die nächste darstellt. Ohne fremde Hilfe kommen einmal ins Trudeln geratene Personen hier zumeist nicht heraus. Univ.-Prof. Dr. Siegfried Meryn ist Mitbegründer der Initiative "Nein zu Arm und Krank". Sie übernimmt Gesundheitsgebühren oder auch Heizkosten für Menschen, die sich dies nicht mehr leisten können. Die österreichische Initiative zeigt eines auf, das selbstverständlich auch für Deutschland gilt: Immer mehr betroffen sind auch ausgebildete Menschen mit einem bisher guten Job bzw. Personen "über 50, die niemand mehr beschäftigen will"! Arbeitslosigkeit, Krankheit, Unfall oder Scheidung sorgen auch im Mittelstand dafür. Dabei bedeutet Armut nicht nur ein Mangel an finanziellen Mitteln. Davon betroffen ist ebenso die Bildung. Teure Schulen oder gar Universitäten können nicht finanziert werden. Arme Menschen leben sehr oft weitaus ungesunder. Arztbesuche werden hinausgeschoben, Operationen verdrängt - die Krankheit bzw. das Gebrechen nimmt seinen Lauf. Während andere an Ausflügen teilnehmen können, Tennis und Fussball spielen oder in anderen Vereinen tätig sind, können sich dies viele der Betroffenen nicht leisten: Sie nehmen am gesellschaftlichen Leben nicht mehr teil. Und schliesslich: Die Lebenserwartung eines Kindes aus ärmlicheren Verhältnissen ist um fünf Jahre geringer als jene eines Kindes aus besseren, finanziell abgesicherten Verhältnissen. Meryn: "Unsere Gesellschaft steht an einem Wendepunkt. Immer mehr Menschen können nicht an unserem konsumorientierten Lebensstil teilhaben." |
Immer lauter wird deshalb auch grenzüberschreitend die Forderung nach einer Sozialunion. Schliesslich besteht die Gefahr nicht nur in den östlichen Randgebieten des EU, sondern auch im Süden. In Westeuropa sind 36 Mio von der Armut betroffen, Zuwanderer doppelt bis gar dreifach. Viele Menschen können sich ein Zuhause langsam nicht mehr leisten - schon gar nicht ein warmes. Neue Kleidung und gesündere Nahrung, medizinische Versorgung... All das wirft schwerwiegende volkswirtschaftliche Fragen auf: Mehr chronische Krankheiten, Schulabbrecher, steigende Kriminalitätsraten - Ursachen für sündhaft teure Nebenerscheinungen einer immer grösser werdenden Volksarmut. Am 27. und 28. November findet in Brüssel das 19. Europäische Beschäftigungs-Forum (EEF) statt. Es steht im Zeichen der Jugendbeschäftigung. Hier können zumindest Grundbausteine für die weitere Bekämpfung der Armut gelegt werden. Die Zuschüsse der EU aus dem Globalisierungsfonds sind nur vorübergehende Lösungen. So erhielten etwa die ehemaligen Angestellten des schwedischen Fahrzeugherstellers Saab bzw. auch jene des finnischen Handy-Produzenten Nokia jeweils über 5 Mio € für Ersthilfe bzw. Ausbildungs- und Umschulungsmassnahmen. Hier soll künftig Europa 2020 weiterhelfen: Ein Programm für "intelligentes, nachhaltiges und integratives Wachstum" zur Bekämpfung der Armut und sozialen Ausgrenzung. Gefasste Ziele wären z.B. Ende der Kinderarmut, Schaffung angemessener Wohnverhältnisse oder auch das Überwinden der Diskriminierung. Im Vergleich zur relativen Armut zählt die "absolute Armut" die Ärmsten der Armen auf: 1,2 Milliarden Menschen auf dieser Welt verdienen weniger als 1,25 US-Dollar pro Tag. Aber auch die "gefühlte Armut", die vornehmlich im sozio-kulturellen Sinne gesehen werden muss, wirft zusehends Probleme auf. Meryn: "Wir müssen verhindern, dass die Kinder, die heute in Armut aufwachsen, die Kranken und Armen von morgen sind."
(Ulrich Stock) |
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