Ärztestreik - wenn nicht jetzt, wann dann
Schon im September geschlossene Praxen???
Erbost verließ dieser Tage Ärztekammerpräsident Frank Ulrich Montgomery den Verhandlungstisch in Berlin: "Wenn die Kassen nicht einlenken, werden sie einen heißen Herbst erleben!" (Montgomery in den Ruhr-Nachrichten). Grund für dieses Messerwetzen sind die Verhandlungen der niedergelassenen Ärzte mit den gesetzlichen Krankenkassen (GKV). Gefordert wird ein Honorar-Plus von mindestens 10 Prozent, was in etwa 3,5 Milliarden € mehr pro Jahr bedeuten würde. Die Krankenkassen jedoch haben ihrerseits nur einem Plus von 0,9 Prozent zugestimmt - dies entspräche rund 270 Millionen €. Damit würde jeder der 150.000 niedergelassenen Mediziner und Psychotherapeuten ca. 150 € mehr im Monat erhalten. Lachhaft meint die Bundesärztekammer, genug die Kassen. Die Ärztevereinigung hat gegen den Schlichterspruch des Ausschussvorsitzenden Jürgen Wasem vor dem Landessozialgericht Berlin-Brandenburg Klage eingereicht. Diese hat aufschiebende Wirkung, sodass die Entscheidung der Kassen vorerst nicht in Kraft tritt. Die Argumentation der Ärzte ist rasch erläutert: Keine Anpassung in den letzten zwei Jahren, gestiegene Personal- und Energiekosten, fürstliche Gehälter in den Chefetagen der Kassen. Die Ärzteschaft fordert als erstes ein informelles Gespräch, wie sich die Kassen die zukünftige Patientenversorgung vorstellen. Daneben wird von einem "Machtkartell der Kassen" gesprochen. Hier sei Bundesgesundheitsminister Daniel Bahr (FDP) gefordert, dies besser zu kontrollieren. Vor zwei Jahren haben die Mediziner auf eine Honoraranpassung verzichtet, da damals davon ausgegangen wurde, dass die Kassen in tiefrote Zahlen schlittern werden. Das Gegenteil allerdings war der Fall - die Krankenkassen haben sich ein milliardenschweres Polster geschaffen. Deshalb fordern nun Vertreter der Ärzte die rückwirkende Anpassung ihrer Honorare. Dies aber können die Kassensprecher nicht zulassen, da in weiterer Folge auch die Krankenhäuser, die Apotheken und die Pharmaindustrie auf der Matte stünden. Auch sie haben den Spargesetzen der Regierung damals zugestimmt. Mit einer dermaßen gut laufenden Konjunktur konnte zu jenen Zeiten auch der größte Optimist nicht rechnen.
Nachdem die Ärztevertreter den Verhandlungstisch verließen, werden die 20 Ärzteverbände nun eine Urabstimmung in Deutschland abhalten - nur der Hausärzteverband zeigt sich etwas zurückhaltend. Das Ergebnis sollte bis zum 12. September vorliegen. Stehen die Fahnen auf "Streik", dann sollten sich die Patienten bereits mit Ende September auf erste geschlossene Praxen vorbereiten. Nicht davon betroffen sind Notfallversorgungen und die Krankenhäuser.
In einer ersten Protestwelle könnten bereits in dieser Woche Patienten mit akuten Herzerkrankungen, Durchfall, Fieber, Krupphusten bzw. unter ständiger Kontrolle stehende Frauen und Sauerstoffpatienten direkt an die Ambulanzen der Krankenhäuser verschrieben werden. Diese Leistungen werden nämlich durch die Kassen nicht mehr vergütet - der Arzt führt die Betreuung kostenlos durch. Damit jedoch sind die Bemühungen der letzten Jahre Lügen gestraft, die eine raschest mögliche Entlassung der Patienten in die Obhut der niedergelassenen Mediziner vorsah. Der nächste Schritt bestünde dann in der Schließung der Praxen. Dies geschah zuletzt vor sechs Jahren.
Bundesgesundheitsminister Daniel Bahr (FDP) hat sich inzwischen von jeglicher Verantwortung freigewaschen: Ihm obliege nur die Rechtsaufsicht. Ob die Verhandlungen erfolgreich abgeschlossen werden oder nicht, ist Sache der Kassen und Ärzte, so Bahr gegenüber der Bildzeitung. Er fordert die Streithähne zur Rückkehr an den Verhandlungstisch auf. Immer mehr Politiker allerdings zeigen Verständnis für die Haltung der Mediziner. So spricht sich etwa Johannes Singhammer (Gesundheitssprecher der CSU) für eine Einigung aus, bei welcher "die Ärzte nicht einfach überwältigt werden!" Gegenteiliges hingegen ist aus den Reihen der SPD zu vernehmen. Es sei nicht einzusehen, weshalb ein Röntgenarzt dreimal so viel verdiene wie ein Hausarzt. Dies müsse in der Ärzteschaft selbst abgeklärt werden, meint der Gesundheitssprecher der SPD, Karl Lauterbach. In einem Interview mit dem Tagesspiegel bezeichnet er den Rückzug der KBV als überzogen.
Auslöser dieser Misere war die Absicht der Kassen, Kürzungen in der Höhe von 2,2 Milliarden € vorzunehmen. Bis zum Streitpunkt Honorare im Bewertungsausschuss waren sich die beiden Seiten erstaunlich näher gekommen. Doch dann wurde der Vorhang zugezogen. Der Vorsitzende der Kassenärztlichen Bundesvereinigung KBV, Andreas Köhler, erklärte am vergangenen Montag die Verhandlungen für vorerst geplatzt. Dafür sei nicht zuletzt auch die Atmosphäre verantwortlich, in deren Rahmen die Gespräche stattgefunden haben. Man werde sich auf jeden Fall bemühen, diesen Konflikt nicht auf dem Rücken der Patienten auszutragen.
Die nächste Verhandlungsrunde soll am 15. September erfolgen. Doch die Zeichen dafür sind nach wie vor mehr schlecht als recht. So will beispielsweise der Sprecher der Allianz deutscher Ärzteverbände, Dirk Heinrich, den morbiditätsorientierten Risikostrukturausgleich dermaßen "durcheinanderwirbeln, dass die Krankenkassen nicht mehr wissen, wie sie das Geld verteilen sollen!" Diese Morbiditätsrate beziffert die Krankheitshäufigkeit der Bevölkerung, worauf die Arbrechnungsmodalitäten der Ärzte beruht.
(Ulrich Stock)
TAM-News |
||
Online-ZeitungÄrztestreik - wenn nicht jetzt, wann dann |
11.09.2012 |
TAM-News |
||
Online-ZeitungÄrztestreik - wenn nicht jetzt, wann dann |
11.09.2012 |
|