Donnerstag, 26. Mai 2011 - kurz vor 06.00 Uhr in der Früh. Das kleine Dorf Lazarevo in der autonomen Provinz Vojvodina, rund eine Autostunde nordwestlich der serbischen Hauptstadt Belgrad gelegen, liegt noch in den letzten Träumen der Nacht. Plötzlich rege Betriebsamkeit, Schreie, Befehle in und um vier Häuser des Ortes - so auch im Bauernhaus von Branislav Mladic. Hier wird ein Mann aus dem Bett heraus verhaftet. Angeblich soll er zwei geladene Schusswaffen bei sich gehabt haben, doch leistete der 69-jährige keinerlei Widerstand. Schon sehr haben die Männer Gewissheit: Es ist vollbracht - "Der Schlächter vom Srebrenica" schaut nun endlich Justitia in die Augen. Die Identifizierung erfolgte anhand eines Ringes, den der damalige Brigade-General bereits im Bosnienkrieg getragen hatte. Einer der meistgesuchtesten Kriegsverbrecher des 20. Jahrhunderts, Ratko Mladic wurde durch Angehörige des serbischen Geheimdienstes und einer Spezialeinheit der Polizei verhaftet. Von der angeblichen Elite-Leibwache, die den bosnisch-serbischen Ex-General im Falle einer drohenden Gefangennahme erschiessen solle, war weit und breit keine Spur. Bei der Verhaftung soll er auf die Frage eines Polizisten, ob er Mladic sei, geantwortet haben: "Euer Ehren, Sie haben denjenigen gefunden, den Sie gesucht haben!" Ein Plastikbeutel voller Medikamente lassen darauf schliessen, dass Milorad Komadic (so dessen Deckname) unter ärztlicher Behandlung stand. Die Nachbarn zeigten sich überrascht - sehr viele verehren Mladic - der inzwischen gealtert ist - nach wie vor als Volkshelden. Dieser soll sogar noch bis vor kurzem auf einer Baustelle in Zrenjanin sein Geld verdient haben. Das Bauernhaus von Ratko's Onkel wurde in der Vergangenheit schon des öfteren durchsucht. Seit kurzem stand es wieder unter dem wachsamen Auge des Nachrichtendienstes BIA. Mladic soll erst vor zwei Wochen hier untergetaucht sein. Davor wechselte er offenbar seine Verstecke, wie andere ihre Handtücher. Die Dorfbewohner berichten davon, dass vor einigen Tagen Mladics Sohn Darko mit den Enkelkindern den 69-jährigen besucht haben soll. Die Familie selbst hatte zuletzt immer wieder gegenüber Medien beteuert, dass der Mann aufgrund seines schlechten Gesundheitszustandes höchstwahrscheinlich schon tod sei. Doch sollen sie seit rund sieben Jahren keinen Kontakt mehr miteinander gehabt haben. Ratko Mladic wurde bereits 1995 durch das Haager Tribunal wegen Kriegsverbrechen, Verbrechen gegen die Menschlichkeit und Völkermordes in 15 Fällen während des Bosnien-Krieges in den Jahren 1992-1995 angezeigt. Alleine bei der Belagerung von Sarajewo und dem Massaker von Srebrenica soll er für die Ermordung von nicht weniger als 18.000 muslimischen Bosnier verantwortlich sein. Seine Ergreifung galt als eine der Grundvoraussetzungen für den EU-Beitritt Serbiens. Diesen Punkt hat die Regierung Tadic somit erfüllt. Nach Angaben des serbischen Aussenministeriums erfolgte die Überwachung und der Zugriff selbst nach einem anonymen Hinweis. Deshalb wechseln auch jene zehn Millionen Euro nicht ihren Besitzer, den die serbische Regierung für die Ergreifung des mutmasslichen Massenmörders in Uniform ausgeschrieben hatte. Der Informant müsste höchstwahrscheinlich mit der Rache der Mladic-Anhänger rechnen. So meinte beispielsweise ein Nachbar - ein bekennender Mladic-Fan: Hätte er gewusst, dass Mladic tatsächlich im 3.000-Seelen-Ort Lazarevo gewohnt hat, hätte er ihn bis auf's Blut verteidigt. In Den Haag ist der Ex-General in guter Gesellschaft. Dort sitzt auch der politische Führer der bosnischen Serben, Radovan Karadzic und wartet auf sein Urteil. Immer wieder wird vom Sohn Mladics und dessen Anwälten auf den Gesundheitszustand des 69-jährigen hingewiesen. Dadurch sollte die Auslieferung verhindert werden. Doch in Belgrad dürfte die Regierung erleichtert darüber sein, dass endlich auch unter dieses Kapitel ein Schlussstrich gezogen werden konnte. Die Richterin Maja Kovacevic erklärte Mladic für physisch durchaus in der Lage, den Prozess in Den Haag mitzuverfolgen - auch wenn er krank sei. Nach Aussage seiner Anwälte soll der Mann an Demenz leiden und sei nach einem Schlaganfall halbseitig gelähmt. Bereits bei der Bestätigung der persönlichen Daten soll der Verhaftete Gedächtnislücken (absichtlich oder unabsichtlich) aufgezeigt haben. Trotzdem erkenne er die Anklageschrift und das Haager Tribunal nicht an, meint die Verteidigung. Der Prozess übrigens wird von dem langjährigen Berliner Justizstaatssekretär Christoph Flügge geleitet. Klar hingegen ist, dass es dem Ex-General in der Haftanstalt in Scheveningen wesentlich besser gehen dürfte, als im Bauernhaus seines Onkels. Dort soll er unter ärmlichsten Bedingungen gehaust haben. In Den Haag wartet eine 15 qm grosse Einzelzelle, mit Dusche, Toilette und Satelliten-TV sowie ständiger ärztlicher Betreuung. Während des Tages können die Häftlinge für insgesamt 12 Stunden die Zelle verlassen und sich mit anderen Verurteilten treffen - 161 Kriegsverbrecher aus dem ehemaligen Jugoslawien befinden sich bereits in Haft (Serben, Kroaten und Bosnier). Den Insassen steht es frei, Kurse oder Therapien zu besuchen. Doch welche politischen Folgen hat die Verhaftung von Ratko Mladic? Einerseits - wie schon erwähnt - ist der EU-Beitritt Serbiens dadurch in greifbare Nähe gerückt. Andererseits erhofft sich Präsident Boris Tadic bei den kommenden Wahlen 2012 einen entscheidenden Stimmenzulauf. Denn - auch nach dem Ende Milosevics - hat der nationalistische Flügel einen grossen Rückhalt in der Bevölkerung. Durch solche "Helden" und "Beschützer der Serben" wie Mladic war diese Macht bislang ungebrochen. Dafür sorgten wohl auch die damaligen Befehlshaber, die nach wie vor im Militär, der Polizei, der Verwaltung und den Geheimdiensten wichtige Positionen bekleiden. Dies zeigte etwa auch die Ermordung des ersten demokratisch gewählten Premierministers Zoran Djindjic auf. Dieser Donnerstag aber könnte zu einer Schwächung dieser nationalistischen Bewegung führen. Davon würde die Sicherheit in der ganzen Region zehren, denn: Es wird ein mehr an Stabilität erwartet! Präsident Tadic hat inzwischen versprochen aufzuklären, wie es möglich war, dass sich Mladic für 15 Jahre hatte verstecken können - teilweise sogar in Objekten des Militärs. Ein Unterfangen, das ihm sehr viele Feinde bringen wird, reicht doch dieses Geflecht an Helfern und Freunden von hohen politischen Vertretern, über Militärs bis hin sogar zur serbisch- orthodoxen Kirche! Der Mann, der im Hintergrund grossteils die Fäden gezogen hatte, war der frühere Präsident Jugoslawiens und spätere Premier Serbiens, Vojislav Kostunica, gegen den derzeit eine Strafanzeige im Zusammenhang mit der Ermordung Djindjics läuft. Ulrich Stock |
TAM-Wochenblatt Ausgabe 18 KW 22 | 01.06.2011 |
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