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Online-ZeitungÄgypten - Die erste Runde ist geschafft |
30.11.2011 |
Einen Monat bevor die neue Regierung vereidigt wird, erfolgen im Juni die Präsidentenwahlen. Das aber dauert dem Volk zu lange. Es sieht die Ziele der damaligen Revolution auf dem Nil davon schwimmen. Befürchtet wird nach wie vor, dass die Islamisten die Wahlen gewinnen könnten. Diese haben - um auch die Stimmen jener zu erhalten, die weder schreiben noch lesen können - eine Waage als Symbol auf die Stimmzettel drucken lassen. Sie erhalten die meisten Stimmen aus dem Lager der Ungebildeten, da diese am einfachsten zu überzeugen und zu leiten sind. Nicht weniger als 24 Gruppierungen, darunter zwei politische Parteien fordern deshalb eine Regierung unter dem ehemaligen Direktor der Internationalen Atomenergiebehörde ElBaradei. Seit dem Beginn der neuerlichen Demonstrationen und Ausschreitungen vor rund eineinhalb Wochen gab es bislang 41 Todesopfer - das aktuellste ist ein Demonstrant am Rande einer Sitzblockade vor dem Kabinettsgebäude in Kairo. Der 21-jährige wurde von einem Fahrzeug überrollt. Ein weiterer wurde im Nordwesten des Landes erschossen, als er gemeinsam mit einer aufgebrachten Menge versuchte, eine Polizeiwache zu stürmen. Hier meldet sich nun die höchste theologische Autorität der sunnitischen Moslems, der Großcheich der Al-Azhar-Moschee und gleichnamigen Universität, Ahmed al-Tayeb zu Wort. Er hat im staatlichen Fernsehen die Polizisten dazu aufgefordert, nicht mehr auf Demonstranten zu schießen, da jeder "mit Blut befleckte Dialog" von vornherein zum Scheitern verurteilt ist. Sollten bei den Wahlen die bislang verbotenen Muslimbrüder gewinnen, was aus heutiger Sicht durchaus möglich ist, so würden höchstwahrscheinlich auch die Generäle ihre Macht in der Wirtschaft und Gesellschaft behalten. Doch streckt das Militär im Hintergrund offenbar in jeder Richtung die Fühler aus. |
So traf sich Feldmarschall Tantawi erst kürzlich zu Gesprächen mit ElBaradei und dem ehemaligen Generalsekretär der Arabischen Liga, Amr Mussa. Beide gelten als Anwärter für das Präsidentenamt. Auch vom Westen wird die Wahl mit großem Interesse verfolgt, galt doch Ägypten bislang als engster Verbündeter im Nahen Osten. Sollte ein islamistischer Staat gegründet werden, so wäre dies Geschichte und die jahrzehntelangen Friedensbemühungen mit Israel plötzlich vom Tisch. Was ferner aus den Tourismus-Regionen wird, wagt niemand vorherzusagen. Al-Ganzouri fordert inzwischen die Demonstranten auf, ihm und der neuen Übergangsregierung eine Chance zu geben, die anstehenden Aufgaben erfüllen und damit deren Forderungen umsetzen zu können. Fakt ist, dass möglichst rasch wieder zur Normalität zurückgekehrt werden muss. Die Wachstumsrate von 7 % im vergangenen Jahr ist nurmehr ein frommer Wunsch. Experten gehen von gerade noch 1 % aus. Kündigungen gehören zur Tagesordnung - die Arbeitslosenrate stieg im 3. Quartal 2011 um beinahe 12 Prozent; wirtschaftlich liegt das Land am Boden! Die Rating-Agentur Standard & Poors stufte ägyptische Staatsanleihen auf Ramsch-Niveau ein. Der Grund dafür sei die anhaltend riskante Gesamtsituation und die politische Ungewissheit. Deshalb entzweien diese neuerlichen Proteste auch die Bevölkerung. Die Einen arbeiten am Wiederaufbau, die Anderen demonstrieren weiter und machen dadurch die Arbeit zunichte. Dies zeigt selbstverständlich auch Auswirkungen bei den Buchungen zur Wintersaison. Der Tourismus macht alleine bereits zehn Prozent des Bruttoinlandsproduktes aus. Läuft die Saison schlecht, klopft wohl die nächste Finanzkrise an die Tür! Ulrich Stock |
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