Bei Zusammenstößen von Demonstranten und der Polizei kam es am Freitag zu gewalttätigen Auseinandersetzungen in Albaniens Hauptstadt Tirana, in deren Verlauf drei Menschen getötet und auf beiden Seiten viele verletzt wurden. Die Opposition hatte zu einer Kundgebung aufgerufen um damit gegen die Korruption der Regierung zu protestieren. Rund 20.000 Anhänger sind diesem Ruf gefolgt und bis vor den Amtssitz von Ministerpräsident Sali Berisha in Tirana gezogen. Dort forderten die Demonstranten den Rücktritt der Regierung. Dabei aber eskalierte offenbar die Lage. Polizeifahrzeuge wurden umgeworfen und in Brand gesetzt, Steine und Molotow-Cocktails geworfen. Als zahlreiche Kundgebungsteilnehmer versuchten, das Regierungsgebäude zu stürmen, setzte die Polizei zunächst Tränengas und Wasserwerfer sowie Plastikgeschosse ein. Über die Köpfe der Demonstranten wurden Warnschüsse mit scharfer Munition abgegeben. Der Leiter des örtlichen Militärkrankenhauses Sami Koceku spricht von 22 zivilen und 50 teils lebensgefährlich verletzten Polizisten. 3.500 Sicherheitskräfte standen im Einsatz, über 110 Demonstranten wurden festgenommen. Amtliche Quellen bezeichnen diese Proteste als die schwersten Ausschreitungen seit 1998. Drei Menschen wurden im Rahmen dieser Unruhen durch Brust- bzw. Kopfschüsse tödlich getroffen. Vonseiten der Regierung wird betont, dass die Todesopfer nicht mit jenem Typ von Schusswaffe getötet wurden, der zur Standard-Bewaffnung der Exekutive gehöre. Ein im Internet veröffentlichtes Video jedoch zeigt Scharfschützen, die vom Dach eines Gebäudes aus einen Menschen erschießen. Ministerpräsident Berisha hat eine Untersuchungskommission eingesetzt, die Generalstaatsanwaltschaft erste Ermittlungen aufgenommen. Oppositionsführer Rama fordert die Festnahme von Innenminister Lulzim Basha wegen Amstmissbrauchs. In Albaniens Hauptstadt Tirana wurde nach den Unruhen am Samstag mit Kerzen der Toten gedacht. Inzwischen brodelt es aber politisch weiter. So ruft die Opposition zu weiteren friedlichen Kundgebungen auf. Gleichzeitig wird diese durch Sali Berisha beschuldigt, dass sie nach tunesischem Vorbild putschen und die Macht an sich reißen wolle. Er werde entschlossen auch weiterhin Gesetz und Ordnung vor den "Banditen" schützen, so der Ministerpräsident. Der Bürgermeister von Tirana und sozialistische Oppositionsführer Edi Rama wirft den Einsatzkräften gezielte Provokationen vor. Die Regierung habe die Grenzen des Gesetzes überschritten, als sie Polizei gegen friedliche Demonstranten eingesetzt hat. Rama kündigt weitere Straßen-Proteste an. Neben Staatspräsident Bamir Topi haben inzwischen auch offizielle Vertreter der Europäischen Union, der Vereinigten Staaten sowie der OSZE (der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa) zum Dialog der zerstrittenen Lager und damit zur Ruhe und Besonnenheit aufgerufen. Albanien müsse seine Wunden heilen - es brauche keine weiteren, so Topi! Andrea Huber, die stellvertretende Direktorin der Abteilung für Europa und Asien bei der Menschenrechtsorganisation Amnesty International verurteilt das gewaltsame Vorgehen der Sicherheitskräfte auf das Schärfste. Die Polizei sei für den Schutz der Öffentlichkeit und der öffentlichen Ordnung zuständig. Sie dürfe aber nicht gewaltsam gegen jene vorgehen, die ihr legitimes Recht auf Protest ausüben. Die sozialistische Opposition wirft der Demokratischen Partei Berishas bei den Parlamentswahlen im Juni 2009 Wahlmanipulation vor. Ministerpräsident Sali Berisha hat eine Neuauszählung der Stimmen abgelehnt; die Wahlzettel wurden verbrannt. Die Opposition hat deshalb das Ergebnis nie anerkannt. Zunächst wurde das Parlament boykottiert, dann wichtige Gesetze bei den Abstimmungen zu Fall gebracht. Auch gewaltfreie Protestaktionen und gar ein Hungerstreik wurden organisaiert. Als vor einigen Tagen der stellvertretende Regierungschef und Wirtschaftsminister Ilir Meta aufgrund eines Korruptionsskandals zurücktrat, ist der Vulkan ausgebrochen. Diese Unruhen nun machen eine friedliche Lösung der albanischen Dauerkrise beinahe unmöglich, da sich die Fronten inzwischen immer mehr verfestigen. Ulrich Stock |
TAM-Wochenblatt Ausgabe 2 KW 4 | 14.02.2011 |
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