Immer schon führten Verschwörungstheorien hinter den heiligen und sehr dicken Mauern des Vatikans zu großem Interesse. Hollywood hat sich dieser nicht nur einmal angenommen. Bei Papst Johannes Paul I. wurden sie erstmals laut ausgesprochen (nach wie vor sind die Umstände seines plötzlichen Todes nicht geklärt) und nun sorgt wieder ein Gerücht für großen Unmut - in den Gängen unter Michelangelos berühmten Deckenmalereien. Bereits seit Januar gelangen Geheimdokumente an die Öffentlichkeit. Sie tauchen nach und nach in den unterschiedlichsten Zeitungen auf. Am Heiligen Stuhl spricht man von "VatiLeaks", dem Pendant zur Enthüllungsplattform "WikiLeaks". Berichtet wurde über ein Mordkomplott gegen den Heiligen Vater, Korruption und Misswirtschaft. Vor cirka einer Woche erschien zudem das Buch "Sua Santitá" (Seine Heiligkeit) des TV-Journalisten Gianluigi Nuzzi, in welchem noch wesentlich mehr Geheimmaterial verarbeitet wurde, vornehmlich in Form von privaten Briefen an den Papst (beispielsweise von Kardinalsstaatssekretär Tarcisio Bertone oder Kardinal Paolo Sardi). Der Vatikan bezeichnet das Druckwerk als kriminell und schreit nach einer einstweiligen Verfügung.
Dieser Tage nun könnte der Maulwurf im Papstpalast ins Netz gegangen sein. Der Verdacht der Ermittler konzentriert sich auf den persönlichen Kammerdiener von Benedikt XVI., Paolo Gabriele. Bei einer Durchsuchung der Wohnung Gabrieles stießen die Gesandten des Papstes offenbar auf eine große Anzahl von Geheimdokumenten, die mit dessen eigentlichem Job nichts zu tun haben sollten. Zu den Aufgaben des dreifachen Familienvaters gehörte etwa die Hilfe beim Ankleiden, das Servieren der Mahlzeiten sowie andere Arbeiten, die ein Butler so tagtäglich zu erledigen hat. Dabei hatte der "Maggiodomo" freien Zutritt zu allen Räumen und höchstwahrscheinlich auch Schränken des ansonsten streng abgeriegelten Apostolischen Palastes. Einzig die beiden Privatsekretäre des Papstes (Georg Gänswein, Alfred Xuereb) können sich ähnlich frei bewegen. Ob der 46-jährige mit dem Spitznamen
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"Paoletto" tatsächlich die Sicherheitslücke ist und ob er dabei von Anderen Unterstützung erhielt, ist derzeit Gegenstand der Ermittlungen. Ein Priester, der den Kammerdiener seelsorgerisch betreute, zweifelt an dessen Schuld. Wenn dies zutreffe, könne man wohl niemandem mehr vertrauen. Das Verfahren selbst wird im Vatikan abgehalten; sollte Gabriele schuldig gesprochen werden, so drohen ihm bis zu 30 Jahre Haft in einem italienischen Gefängnis.
Medien auf der ganzen Welt vermuten einen Machtkampf innerhalb der höchsten römischen Kurie hinter den jahrhundertealten Mauern. Fristlos gekündigt wurde beispielsweise auch der Vorstand der Vatikanbank IOR, Ettore Gotti Tedeschi. Ihm wird Amtsmissbrauch vorgeworfen, da er einige wichtige Vorgaben nicht realisiert habe. Tedeschi selbst betont, dass er aus Liebe zum Papst schweige.
Ob die beiden nun Bauernopfer gewesen sind, somit also weitere hohe geistliche Würdenträger aus dem Umfeld des Papstes dahinterstecken, wird sich wohl zeigen - oder vielleicht auch nicht. Aus dem Bekanntenkreis des Kammerdieners heißt es jedenfalls, dass dieser zuvor zur Rede gestellt worden sei. Somit ist es unverständlich, dass er die Dokumente auch weiterhin behalten und nicht etwa vernichtet hatte. Gerüchte besagen, Paoletto habe auf Befehl von oben gehandelt. Buchautor Nuzzi hatte sich zudem in seinem Druckwerk bei den Informanten bedankt - es waren somit mehrere!
Zu Pfingsten feiert die Katholische Kirche eigentlich die Entsendung des Heiligen Geistes. In diesem Jahr jedoch spricht die internationale Presse von einem erschütterten und schockierten Benedikt XVI. VatiLeaks zeigt ein Bild vom Kampf der Traditionalisten gegen die Reformer auf, von Seilschaften und karrieregeilen Emporkömmlingen. Eine mehr als unvorteilhafte Vorstellung der Römisch-Katholischen Kirche. Man darf demnach gespannt sein, ob der Enthüllungsskandal noch weitere dubiose Geschichten ans Licht der Öffentlichkeit bringen wird.
(Ulrich Stock)
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