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Der jahrelange Schulstreit im bevölkerungsreichsten Land Deutschlands, in Nordrhein-Westfalen, ist beigelegt! Für die kommenden zwölf Jahre sollte das Thema vom Tisch sein! Beinahe schon zu Freudentränen gerührt waren die bisherigen Kontrahenten in dieser Sache, NRW-Ministerpräsidentin Hannelore Kraft (SPD) und CDU-Landeschef Norbert Röttgen bei der Pressekonferenz in Düsseldorf. Und dies obwohl beide Seiten von ihrem ursprünglichen Standpunkt haben abkehren müssen. So forderte die Minderheitsregierung aus SPD und Bündnis 90/Die Grünen eine Gesamtschule, während die CDU sich auf eine Verbundschule mit den Zweigen Haupt- und Realschule eingeschossen hatte. Diese "historische Verständigung" (so Kraft) wurde zum Wohl der Schüler, Lehrer, Eltern und Kommunen geschlossen - doch soll die sog. "Sekundarschule" keinen bisherigen Schultyp ersetzen. Die Haupt- und Realschulen bleiben demnach weiterhin bestehen; die Garantie für die Hauptschule wird jedoch aus der Verfassung gestrichen. Schließlich sollen die Kommunen selbst entscheiden, welchen Schultyp sie bevorzugen. Eine entsprechende Entscheidung wurde notwendig, da sinkende Schülerzahlen das mangelnde Interesse an der Hauptschule aufgezeigt hatten. Bedenken schiebt Norbert Röttgen beiseite - der Konsens sei verfassungsrechtlich abgesichert.
Das Konzept für diese Sekundarschule wurde von Experten erarbeitet und an den Modellversuchen von Lohmar bzw. Monheim angelehnt. Dabei sollen die Klassen 5 bis 10 ohne eigene gymnasiale Oberstufe zusammengefasst werden. In den ersten beiden Klassen wird gemeinsam gelernt. Ab der 7. Klasse teilen sich dann die Möglichkeiten. In der integrierten Form bleiben alle Schüler bis zur 10. Klasse zusammen. Die teilintegrierte bietet ein differenziertes Lernen in den Hauptfächern (je nach Leistungsstand), die kooperative schließlich beinhaltet auch weiterhin die drei Bildungsgänge von Haupt- und Realschule sowie dem Gymnasium. Hier brachten jedoch einige Experten ihre Überlegungen ein: Dies könne auf Kosten des Anregungspotenzials der Gesamtgruppe gehen. Bereits im Herbst werden die 12 bestehenden Modellversuche zur Sekundarschule umgewandelt, die endgültige Einrichtung könnte für das Schuljahr 2012/13 anvisiert werden. Grundlegende Voraussetzung aber ist, dass ausreichend viele Eltern der Grundschulkinder bei der im Herbst durchzuführenden Abfrage Interesse an der Sekundarschule bekunden. Weiterhin bestehen bleibt außerdem die Möglichkeit des Haupt- oder Realschulabschlusses. Nur der Zweitere berechtigt zum Aufstieg in die gymnasiale Oberstufe. Das Abitur kann somit ein Sekundarschüler nach 13 Schuljahren absolvieren.
Doch nicht überall wurde die Entscheidung erfreut aufgenommen. So hätten sich die Lehrer der Realschule gewünscht, dass die Klassenwiederholung nicht ausgeschlossen werden solle. Jugendliche würden sich schließlich mehr bemühen, wenn sie wüssten, dass sie eventuell sitzen bleiben könnten. Dies wurde zurückgewiesen, da es nicht nachweisbar sei, dass man unter Angst besser lerne. Es bleibe ferner abzuwarten, ob die leistungsstärkeren Vorbilder aus der derzeitigen Realschule die schwächeren mitziehen oder ob diese gemischten Klassen zu einem Leistungsabfall führen werden. Der Leiter der Horremer Mädchenrealschule Mater Salvatoris, Rolf Fischer, bringt es auf den Punkt: "Die Theorie der Sekundarschule ist weitab von den Ergebnissen der empirischen Unterrichtsforschung!" Auch in den Schuldirektionen zielt der Blick in eine unsichere Zukunft: Hier wird die Befürchtung gehegt, dass die bestehenden Haupt- und Realschulklassen mangels Interesse bzw. Lehrpersonals geschlossen werden müssen. Harry Gohr von Die Linken erwartet sich eine weitere Zergliederung des Schulsystems. Schließlich werde nun eine fünfte Schulform eingeführt. Seine Parteikollegin aus Köln, Angelika Link-Wilden, erkennt gar die Verabschiedung vom Reformanspruch im Bildungsbereich. Keine Spur also vom Integrieren der Kinder aller sozialer Schichten und dem sozialen Lernen. Die beteiligten Parteien würden mit dieser Konsenspolitik alle wie auch immer gearteten Koalitionsoptionen offen halten.
Die Reaktionen aus den anderen Bundesländern sind freilich vorerst zurückhaltend. Einzig Grünen-Chef Cem Özdemir prescht mit wehenden Fahnen vor: "Wir Grünen reichen der CDU die Hand für eine Verständigung!" Er möchte dieses Modell auch so rasch als möglich auch in Baden Württemberg eingerichtet wissen.
Ulrich Stock
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