Immer wieder wird die Frage aufgeworfen: Wie weit darf ein Reporter für eine Story gehen? Gibt es eine moralische Grenze oder entscheidet dies einzig und allein die Quote! In Großbritannien jedenfalls ist die Journaille zu weit gegangen. Handys und Festnetz-Telefone wurden angezapft, die Inhalte teilweise veröffentlicht - Resultat: Der ehemalige Herausgeber von News of the World, Andy Coulson, atmete durch Gitterstäbe gesiebte Luft (ist jetzt auf Kaution frei), das Blatt wurde durch den allmächtigen Boss Rupert Murdoch höchstpersönlich eingestellt, die Angestellten entlassen oder anderen Bereichen zugeteilt. Und jetzt weht auch Premierminister David Cameron ein etwas rauerer Wind um die Nase: Die oppositionelle Labour-Party fordert eine sofortige gerichtliche Untersuchung der Affäre, da Verdunklungsgefahr bestehe. Der Liberaldemokratische Koalitionspartner, die Libdems, betont ebenfalls, dass der Skandal ein schlechtes Licht auf Cameron werfen würde. Schließlich war Coulson bis zum Januar 2011 dessen Pressesprecher und die damalige Chefredakteurin und heutige Verlagsmanagerin Rebekah Brooks eine Freundin der Familie. Damit aber in medias res: Privatdetektive und Reporter des Boulevardblattes "News of the World" haben über Jahre hinweg rund 4.000 Menschen belauscht, darunter Prominente (Hugh Grant, Jude Law, Paul Gascoigne oder Siena Miller), Hinterbliebene von im Irak gefallenen Soldaten und Angehörige von Verbrechensopfern (auch eines entführten und ermordeten Mädchens). Außerdem sollen mehr als 100.000 Pfund an Schmiergeldern in korrupte Polizistenhände geflossen sein. Die Labour Party nun befürchtet die systematische Vernichtung von Beweisen. Anlass für diese Annahme war ein Bericht der Zeitung "The Guardian", wonach Millionen interner E-Mails gelöscht worden sind. Auch wenn eine Sprecherin des Zeitungsverlages News International dies als "Quatsch" bezeichnet, ist es dennoch nicht ganz auszuschließen. Premier Cameron sagte zögerlich aber doch raschest mögliche Aufklärung zu (er befürchtet wohl, dass er dadurch Murdoch gegen sich aufbringen könnte). Außerdem soll ein Ausschuss eingesetzt werden, der Licht in das zumeist sehr enge Verhältnis der Politik mit den Medien in Großbritannien bringen soll. Nun bedarf es einer gehörigen Portion an Fingerspitzengefühl. So meinte etwa ein Polit-Experte gegenüber der Zeitung Independent, dass in Downing Street 10 die Angst umgehe. "News of the World" wurde am 01. Oktober 1843 durch John Browne Bell gegründet. Sein Motto "...ist die Wahrheit, unsere Praxis das furchtlose Eintreten für die Wahrheit" sollte der Gazette schließlich den Kopf kosten. 1969 erwarb der australische Medien-Zampano Rupert Murdoch das Blatt. Mit Exklusiv-Stories, wie der Affäre der Prinzessin von Kent mit einem texanischen Millionär oder dem Tete-a-Tete von Prinz Edward mit Sophie Rhys-Jones wurde die Auflage auf über 5 Millionen gesteigert. Für den größten Wirbel allerdings sorgte ein Interview mit einem außer Kontrolle geratenen Bischof und seiner Geliebten unter dem Titel "Runaway Bishop gesteht News of the World: Warum habe ich gesündigt!" Die Zeitung war immer für eine lockere Schlagzeile gut! Seit Sonntag, 10. Juli stehen die Druckermaschinen! Der Chef hat höchstpersönlich zugesperrt! Experten bezeichnen dies als Geniestreich. Rupert Murdoch gilt als einer der schwergewichtigsten Medienmenschen weltweit (Platz 4 auf der Forbes-Liste der Medienmächtigen). In Großbritannien etwa heißt es, dass er, nicht die Politiker Wahlen gewinne. So verdankte beispielsweise Tony Blair seine drei Siege der Murdoch'schen Mediengewalt. Ob Zeitung, Radio oder TV - an diesem Mann kommt man einfach nicht vorbei. Nach Schätzungen sollen 2 Prozent der global vertriebenen Medien ihm gehören. Die britische Times, das Wallstreet Journal, die Senderkette Fox, die Filmstudios von 20th Century - in Deutschland wurde er durch den Abo-Sender Sky bekannt, der Nachfolger von Premiere. Die Geschäfte in Europa und Asien werden durch seinen Sohn James geleitet. Derzeit laufen die Verhandlungen für die millionenschwere Komplett-Übernahme des britischen Fernsehsenders BSkyB (Gesamtwert des Senders: 13,4 Mrd. €), da erscheint dieser Skandal nicht wirklich als zeitlich passend, denn schließlich muss die Wettbewerbsbehörde hierzu noch ihr Ok geben. Und diese wird von Einsprüchen derzeit geradezu überflutet. Zu ersten Gerüchten, wonach bereits eine neue Sonntagszeitung durch das Boulevard-Flaggschiff The Sun geplant sei, nahm der Verlag bislang keine Stellung. Doch gilt es als offenes Geheimnis, dadurch könnte der Verlag sehr viel Geld einsparen. Die beiden Boulevard-Blätter erwirtschafteten im vergangenen Geschäftsjahr einen operativen Gewinn von 20 Mio €. Der Gesamtkonzern hingegen beinahe 2,8 Milliarden (Angaben des Finanzdienstleisters Bloomberg). Aus den Redaktionsräumen von "News of the World" ist nichts zu erfahren, schließlich zittern alle um ihren Job. Nur ein Satz schaffte den Weg nach außen: "Die Zeitung wird geopfert, um den Job einer Frau zu retten!" Gemeint ist damit Rebekah Brooks, die ihren Rücktritt zwar angeboten hat, durch Murdoch jedoch nicht akzeptiert wurde. Auch James Murdoch gesteht inzwischen Fehler ein. Er hat eine Kommission eingerichtet, die Ansprüche von Opfern überprüfen soll. Der komplette Verkaufserlös der letzten Sonntagsausgabe wurde wohltätigen Zwecken gespendet. Ulrich Stock |
TAM-Wochenblatt Ausgabe 21 KW 28 | 13.07.2011 |
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