Wo ist sie geblieben, die Vision vom vereinten Europa?! Reisen ohne Grenzen soweit das Auto einen bringt. Was am 14. Juni 1985 in dem kleinen Ort Schengen im Großherzogtum Luxemburg durch die Benelux-Staaten, Deutschland und Frankreich unterschrieben wurde, der Abbau der Personenkontrollen an den gemeinsamen Grenzen, wurde fast auf den Tag genau nach 26 Jahren offenbar wieder in die Schublade gelegt. An der deutsch-dänischen und schwedisch-dänischen Grenze wird seit Anfang Juli erneut kontrolliert - wenn auch nur stichprobenweise, so aber dennoch. Und dafür hagelt es aus dem restlichen Europa nur so an Kritik. Der Grundgedanke des Schengener Durchführungsübereinkommens liegt im freien Personenverkehr von Gibraltar bis Lappland, von Athen bis nach Reykjavik. Zweiteres ist durch die Balkanstaten noch nicht ganz realisiert. Die Passkontrollen entfallen beim Grenzübertritt - dafür allerdings können jederzeit Kontrollen im Hinterland durchgeführt werden. Die Staaten untereinander sind durch das Schengener Informationssystem (SIS) datentechnisch miteinander verbunden, sodass etwa bei einer Personenkontrolle In Belazaima do Chão (Portugal) oder Ylöjärvi (Finnland) direkt auf den zentralen Fahndungsserver in Brüssel zugegriffen und überprüft werden kann, ob der Kontrollierte in Deutschland gesucht wird. Die Außengrenzen zu Drittstaaten wie Weißrussland oder die Türkei werden nach einem einheitlichen Standard kontrolliert. Ein einmal erteiltes Schengen-Visum für Drittausländer ist somit in allen Staaten des Abkommens gültig. Dies wollte sich unter anderem der italienische Ministerpräsident Silvio Berlusconi zunutze machen, um damit die Flüchtlingsproblematik auf Lampedusa oder Sizilien in den Griff zu bekommen, da die meisten dieser Nordafrikaner ohnedies nach Frankreich wollen - der Anlass für die erste große Diskussionsrunde. Die Schweiz, Frankreich und auch Deutschland wollten die Grenzkontrollen wieder einführen um der organisierten Schlepperei einen Riegel vorzuschieben. Seither steht unumstritten fest, dass die Regeln des Schengener Abkommens überarbeitet werden müssen. Dänemark ist nun ohne Rücksicht auf Verluste vorgeprescht. Kriminellen sollten nicht Tür und Tor geöffnet werden. Deshalb sind Anfang Juli wieder permanente Zollkontrollen eingerichtet worden. Nachbar Deutschland reagiert erbost: Der Europaminister von Hessen, Jörg-Uwe Hahn (FDP), spricht von einem "Verrat an der europäischen Idee" und ruft gar zum Urlaubsboykott auf. Als Alternative empfiehlt er Österreich oder Polen. Deutsche Touristen sind kein unwesentlicher wirtschaftlicher Faktor in Dänemark. Rund eine Million fahren zumeist mit dem Auto über die Grenze und mieten sich dort ein Ferienhaus. Im vergangenen Jahr wurden rund 12 Millionen Übernachtungen von Deutschen in Dänemark gezählt (Angaben des Deutschen Reiseverbandes). Die Dänen wiederum lassen sich dies nicht gefallen. Der dänische Steuerminister Peter Christensen spricht von einem "ziemlich schrägen" Aufruf, die Parlamentsabgeordnete Ellen Trane Nørby wirft dem hessischen Minister in einem offenen Schreiben Populismus vor. Schließlich führe das Land keine Grenzkontrollen ein, sondern verstärke lediglich die Zollkontrollen. Aus bisherigen 182 Beamten mach 270 - vier von 1.000 Autos werden an der Grenze kontrolliert! Dies biete die Grundlage für eine Risiko-Analyse, wodurch die illegale Einwanderung, Menschenhandel und der Drogenschmuggel unterbunden werden sollen. Somit bleiben die Richtlinien des Abkommens voll und ganz gewahrt. Die Maßnahme selbst wurde bereits Mitte Mai durch die Minderheitsregierung mit der rechtsextremen "Dänischen Volkspartei" (DVP) beschlossen. Bundesinnenminister Hans-Peter Friedrich (CSU) fordert auf, die Beschränkung der Reisefreiheit wieder aufzuheben, Bundesaußenminister Guido Westerwelle (FDP) warnt vor dem Rückfall zu nationalen Alleingängen in der EU. Aus Brüssel hieß es, man erkenne nach einer ersten Einschätzung keinen Verstoß gegen geltendes EU-Recht, wolle diese permanenten Zollkontrollen jedoch genauestens beobachten. Der Europaabgeordnete Alexander Alvaro bringt die Stimmung beim Europaparlament in Straßburg auf den Punkt: "Die offenen Grenzen sind eine der Haupterrungenschaften der europäischen Politik der vergangenen Jahrzehnte!...Dänemark muss sich entscheiden, ob es noch Teil der Schengenzone und langfristig Teil der EU bleiben möchte!" Hier wird eine populistische Maßnahme für den Stimmenfang der Regierungsparteien bei den kommenden Urnengängen vermutet. Ulrich Stock |
TAM-Wochenblatt Ausgabe 21 KW 28 | 13.07.2011 |
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