Ganze Landstriche sind in diesen Tagen in Deutschland wie leergefegt. Verantwortlich dafür zeichnet nicht etwa eine neue TV-Serie sondern vielmehr ein kleines Bakterium, das es wahrhaft in sich hat!
Jedes Jahr - immer wieder zur Sommerzeit - legen sie los: Viren und Bakterien, die den Verdauungstrakt befallen. Waren es vor noch nicht allzu langer Zeit die Noro-Viren, die tausende Menschen ungewollt an die Toilette fesselten, so sind dies 2011 die EHEC-Bakterien. Diese Mikrobe heftet sich an die Zellen der Darmwand und hindert diese an der Eiweiss-Produktion. Die Darm-Zelle selbst stirbt dabei ab. Starker Durchfall, der in weiterer Folge auch blutig ausfallen kann, Übelkeit und Erbrechen sind die ersten Warnhinweise, die durchaus ernst genommen werden sollen, da die Krankheit im schlimmsten Fall einen tödlichen Verlauf haben kann. Das Bakterium schüttet Gifte aus, die das Blutplasma befallen. Aufgrund der abnehmenden roten Blutkörperchen und des immer mehr infizierten Plasmas können sich Blutgerinsel bilden, die wichtige Transport- und Verkehrswege im menschlichen Körper verstopfen (hämolytisch-urämische Syndrom HUS). Dadurch wird die Niere unterversorgt und fällt aus! Zu erkennen ist dieser drohende Nierenkollaps am dunkel eingefärbten Urin. Zuletzt entdeckten offenbar Mediziner einen speziellen Antikörper, der im Kampf gegen dieses HUS weiterhelfen kann. Nicht nur das Robert-Koch-Institut arbeitet mit Hochdruck an einer Lösung, da die Zahl der schweren Erkrankungen stark zunimmt. Auch im Gehirn kann dies zu Disfunktionen führen - die Folge ist Gedächtnisausfall, krampfartige Anfälle oder andere neurologische Disfunktionen. Hierbei hilft nurmehr eine Plasmapherese, wobei das kontaminierte Blutplasma durch künstliches Plasma oder solches von Spendern ersetzt wird, da ansonsten eine Nierentransplantation oder Dialyse notwendig wird. Deshalb sollten keineswegs Antibiotika gegen den EHEC-Erreger eingesetzt werden. Hierdurch werden noch mehr Toxine ausgeschüttet. Immunologen sprechen von einem völlig "neuartigen biochemischen Profil", das resistent gegenüber der bisherigen Arzneimittel sei (Werner Solbach, Leiter des Institutes für Infektionsmedizin am Uni-Klinikum Schleswig-Holstein).
Dabei aber ist das enterohämorrhagische Escherichia coli-Bakterium gar nicht mal so neu. Bereits 1995 sorgte es in Deutschland für Panik, als v.a. Rindfleisch in Bayern verseucht war. Ein Jahr später erkrankten in Japan rund 10.000 Menschen an diesen Erregern - hierfür waren kontaminierte Rettichsprossen verantwortlich. Die Weltgesundheitsorganisation WHO spricht von einem besonders gefährlichen Erregerstamm. Während im Vergleich tausende Salmonellen-Keime benötigt werden um einen Ausbruch der Krankheit beim Menschen hervorzurufen, reichen beim EHEC-Bakterium bereits 10 bis 100 Erreger. Die Inkubationszeit liegt bei 2-3 Tagen. Übertragen wird die Krankheit von Mensch zu Mensch, von Tier zu Mensch oder durch Lebensmittel. Die eigentliche Ursache jedoch liegt zumeist im Einsatz von Gülle als Dünger. Dadurch gelangt das Coli-Bakterium in die Nahrungskette. Experten empfehlen deshalb gerade bei Obst oder Salaten, vor dem Verzehr die Produkte gut abzuwaschen. Rohes Fleisch sollte ebenso wenig wie Rohkäse gegessen oder Rohmilch getrunken werden - der Erreger stirbt nach 10 Minuten bei 70 Grad Celsius ab. Häufiges Händewaschen mit Seife ist nach jedem Berühren möglicher Infektionsquellen empfehlenswert - Sauberkeit in der Küche jedoch unbedingtes Muss!!! Besonders bei Kleinkindern sollten die Alarmglocken laut schrillen, da sie auch mit Gefahrenquellen sorglos umzugehen wissen. Das Bakterium überlebt übrigens beispielsweise im Wasser mehrere Wochen.
Hinter der diesjährigen Epidemie könnten verseuchte Gurken, Tomaten und Melanzani aus Spanien stecken. Dies ergaben Proben vom Hamburger Wochenmarkt. Mehrere Betriebe wurden bereits auf der iberischen Halbinsel geschlossen. Lebensmittelchemiker prüfen auch heimische Ware und Produkte aus dem benachbarten Holland. Trotzdem besteht kein Anlass zur Panik, versichert Bundesverbraucherministerin Ilse Aigner (CSU). Hygiene-Massnahmen sollten jedoch unbedingt durchgezogen werden. Niemand müsse auf den Verzehr von Gemüse und Obst verzichten, wenn dieses etwa penibel abgewaschen oder gekocht wird. Allerdings sollten derzeit nicht wirklich Gurken, rohe Tomaten oder Blattsalate auf dem Speiseplan stehen. Auch Bundesgesundheitsminister Daniel Bahr (FDP) versucht zu beruhigen: Die Suche nach den Übertragungswegen läuft auf Hochtouren. Man könne davon ausgehen, dass diese schon sehr bald gefunden werden und eine weitere Verbreitung der Krankheit dadurch unterbunden wird. Eine eigene Sonderkommission werde nicht erforderlich sein - die bisherigen Risiko-Managment-Massnahmen hätten anstandslos funktioniert. Die Vorsitzende des Gesundheitsausschusses, Carola Reimann (SPD) schliesst sich den Meinungen ihrer Kollegen an. Es bestehe kein Anlass zur Hysterie. Da jedoch bereits Todesfälle zu beklagen sind, müsse man sich sehr wohl Sorgen machen! Dies betonen auch die Mediziner - in einer anderen Richtung: Durch die grossangelegte Plasmapherese steigt der Bedarf an Blutkonserven. Deshalb ruft das Deutsche Rote Kreuz zum vermehrten Blutspenden auf.
Einmal mehr sind es jedoch die deutschen Landwirte, die im Schussfeld der Kritik stehen. Einerseits greift niemand mehr zu Salaten und Gemüse, weshalb die Bauern ihre Ernte wieder untergraben oder vernichten müssen. Andererseits werde beim Salat- oder Gemüseanbau in Deutschland keinesfalls Gülle verwendet. Sie kommt beim Getreide-, Mais- und Rapsanbau zum Einsatz. Hier jedoch vor der Aussaat, heisst es aus dem Landwirtschaftsministerium Nordrhein-Westfalens bzw. vonseiten des Hessischen Gärtnerei-Verbandes.
Ulrich Stock
TAM-Wochenblatt Ausgabe 18 KW 22 | 01.06.2011 |
EHEC straft Ernährungsexperten Lügen
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