Der Kampf um die Stadt Misurata wird immer brutaler. Dabei kennen die Gaddafi-Truppen offenbar keinerlei Grenzen. So bestätigten Mitarbeiter der Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch den Einsatz von Streubomben. Drei dieser Munitionskörper seien vorort gefunden worden. Auch in Wohngebieten wie dem Stadtviertel El Schawahda, etwa einen Kilometer von der Frontlinie entfernt. Nicht zuletzt sollen rund um ein Krankenhaus Ableger der Bomben eingeschlagen sein, betont Steve Goose, Waffenexperte von HRW. Er belegt damit den Bericht eines Reporterteams der US-amerikanischen Tageszeitung "New York Times", das mehrere Explosionen am Himmel ausmachte, aus welchen unzählige kleinere Sprengsätze (Submunition oder auch "bomblets") über die gesamte Stadt verteilt wurden. Die libysche Regierung indes weist alle Vorwürfe zurück. Die Berichte seien surreal - es müssten Beweise vorgelegt werden (Regierungssprecher Mussa Ibrahim). Der Einsatz dieser Munition sorgt deshalb für einen solch lauten Aufschrei, da mit dem Jahr 2010 die Streubomben-Konvention in Kraft getreten ist. 108 Staaten haben diese unterzeichnet (nicht dabei China, Russland und die USA) - sie verbietet die Verwendung, Herstellung, Lagerung oder Weitergabe solcher "Clusterbomben" oder "Cargomunition". Es könne nicht kontrolliert werden, wer getroffen wird - diese Bomben wirken ungerichtet. Somit handelt es sich um ein Flächenbombardement, bei welchem v.a. die Zivilbevölkerung betroffen ist. Und dies nicht nur während des eigentlichen Angriffes, sondern auch Jahre danach, da unzählige nicht explodierte Blindgänger weitflächig verstreut werden (zwischen 5-30 % explodieren nicht beim Aufprall - sind damit durchaus mit Landminen zu vergleichen). Die verwendeten Bomben stammen offenbar aus dem Jahr 2007, produziert in Spanien. Ein Jahr später trat auch dieses Land der Konvention bei. Restbestände solcher Munition müssen bis 2018 zerstört sein. Die Hafenstadt Misurata, im Westen des Landes, ist die letzte verbliebene Rebellenhochburg und deshalb nach wie vor heiss umkämpft. Seit zwei Monaten belagern die Truppen des Staatschefs die drittgrösste Stadt des Landes. Immer wieder gibt es heftige Angriffe durch Artillerie, Panzer und Raketen. Zuletzt gelang es der Hilfsorganisation IOM 1.200 Flüchtlinge mittels Schiff aus dem Hafen zu evakuieren. Sie dürften zu jenen etwa 8.300 ausländischen Arbeitern gehören, die ohne Verpflegung im Hafen festsitzen. Der NATO hingegen geht nun offenbar die Munition aus. Im Speziellen: Die Präzisionsbomben. Die USA hatten das Kommando über diesen Einsatz übergeben und 50 Kampfflugzeuge abgezogen. Daneben werden auch die Mitgliedsstaaten des Paktes kritisiert. Während Frankreich und Grossbritannien eine härtere Gangart fordern, lehnen dies Belgien bzw. vor allem Deutschland ab. Der Aussenminister Luxemburgs, Jean Asselborn brachte es auf den Punkt: Es dürfe nicht sein, dass sich die Europäer in Kriegführende und Gutmenschen aufteilen. Unterdessen lässt sich Gaddafi in der Hauptstadt Tripolis als Sieger feiern. Während seine Tochter Aisha mit hochgestreckter Faust in die Menge der Gaddafi-Anhänger schreit ("Lasst unseren Himmel mit euren Bomben in Ruhe!...Wir sind ein Volk, das nicht besiegt werden kann!"), lässt sich der Diktator im offenen Auto von der Menge bejubeln. Mit "Zenga Zenga" haben seine Anhänger auch eine neue Hymne gefunden. Ein Rap-Song, der auf Deutsch "von Allee zu Allee" heisst und der Drohung des Machthabers entnommen wurde, dass seine Truppen "von Allee zu Allee, von Haus zu Haus kommen werden". Der Titel ist bereits rund 6 Millionen Mal auf You Tube angeclickt worden. Ulrich Stock |
TAM-Wochenblatt Ausgabe 14 KW 16 | 20.04.2011 |
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