2008 zog Lucie bei uns ein und hat anfangs keinem von uns vertraut. Sie stand im Wohnzimmer und fixierte uns, völlig fertig und übermüdet. Eigentlich kurz vorm Zusammenbruch, der Kopf ging vor lauter Müdigkeit immer wieder nach unten. Wir waren völlig am Ende, sie tat uns sooo leid. Wir konnten Ihr aber nicht helfen, außer sie fürs Erste in Ruhe zu lassen... |
Eine falsche Bewegung und wir hatten ein Torpedo im Wohnzimmer. Wenn ich daran denke, wie sie heute ist, halte ich es selbst manchmal für ein Wunder so einen "normalen" Hund zu haben...
In den Anfangszeiten war uns nicht bewusst, was ein Angsthund ist, und welche Bedeutung dies hat – dennoch war uns klar, dass Lucie kein "normaler" Hund war.
Ganz langsam und zaghaft vertraute sie sich mir dann an - nicht völlig, anfassen und schnelle Bewegungen waren noch nicht drin. Trotzdem legte sie sich zu mir vor die Couch, die zu dem Zeitpunkt unser gemeinsamer Schlafplatz war, und
folgte mir innerhalb des Wohnzimmers. Drehte ich mich um, war sie aber gleich wieder weg.
Je mehr sie sich mir anvertraute, desto weniger kam sie mit meinem Mann zurecht. Sie bellte ihn an wenn er ins Wohnzimmer kam, fing an im Kreis zu laufen, oder Ecken abzulaufen, die es gar nicht gab, und war ständig auf der Flucht vor ihm. Mein Mann redete mit ihr, hielt ihr schmackhafte Leckerbissen hin – Lucie wollte nicht.
Die Orga schlug uns Handfütterung durch ihn vor, was in der totalen Verweigerung durch Lucie und unserer Aufgabe endete. Trotz der Mühe, die sich mein Mann gab, bellte Lucie ihn weiterhin an und weigerte sich, mit ihm nach draußen zu gehen. Ab einem gewissen Zeitpunkt hat er dann einfach aufgegeben und sie ignoriert, es war zu frustrierend für ihn.
Dieser Zustand dauerte wenigstens ein Jahr, wenn nicht sogar länger. Je mehr mein Mann Lucie ignoriert hat und ihr aus dem Weg gegangen ist, desto weniger panisch war sie ihm gegenüber.
Aber richtig "gut" wurde es nicht. Erst als wir eine Trainerin kennen lernten, die uns wirklich weiterhelfen konnte, weil sie Lucie "lesen" konnte, kamen wir einen großen Schritt voran. Sie hat meinem Mann die Augen geöffnet, erklärt, warum Lucie so ist, wie sie ist und dass er es nicht persönlich nehmen soll.
Danach änderte sich so langsam seine Einstellung Lucie gegenüber. Durch das Clickern lernte Lucie, dass mein Mann mir die Aufgaben schrittweise abnahm. Erst warf er nur das Leckerlie, dann übernahm er das Clickern ganz. Abgesehen davon, sollte er sie weiterhin ignorieren. Wir übten täglich.
Nachdem Lucie ein dreiviertel Jahr bei uns war, nahmen wir einen alten Pflegehund, Imbir, zu uns, der souverän und ohne Probleme war. Ein ganz normaler Hund eben. Lucie fing an, sich an Imbir zu orientieren, folgte ihm sogar vorsichtig, wenn er zu meinem Mann ging, um zu schmusen. Anfassen ließ sie sich noch nicht.
Die ersten beiden Jahre war es meinem Mann unmöglich mit Lucie spazieren zu gehen. Er konnte sie nicht anfassen, geschweige denn anleinen. An der Leine kämpfte sie bei ihm um ihr Leben. Nach einer Weile fing sie an, Imbir zu folgen und sich vollständig an ihm zu orientieren, so dass mein Mann es versuchen wollte, Beide mitzunehmen. Es funktionierte, Lucie folgte Imbir ins Auto. Draußen orientierte sie sich gänzlich an ihm.
Als wir Imbir nach ca. einem Jahr Pflege erlösen mussten, erlitt Lucie einen herben Rückschlag. Sie weigerte sich das Auto zu verlassen, wenn mein Mann mit ihr irgendwohin fuhr.
Durch viel Geduld und den Clicker haben wir es in kleinen Teilschritten geschafft, dass mein Mann ihr das Halsband anziehen kann. Bis heute folgt sie ihm beim Spaziergang ohne Leine, reagiert dabei auf seine Kommandos und bleibt dicht hinter ihm, selten entfernt sie sich. Gehe ich mit ihr spazieren, spielt sie auch mit anderen Hunden, tobt, ist locker und fröhlich.
Menschen, die beide Lucies kennen, meinen, sie könnte eine "gespaltene Persönlichkeit" haben, so verschieden ist ihr Verhalten, je nachdem wer mit ihr spazieren geht.
Drei Jahre hat es gedauert, bis Lucie sich relativ entspannt verhält in der Anwesenheit meines Mannes – ohne in ständig im Auge behalten und anbellen zu wollen. Bin ich in ihrer Nähe, fordert sie ihn sogar auf sie zu streicheln oder stupst ihn an. Wird es ihr zu viel, ignoriert sie ihn und er sie. Das hat ihm die Trainerin eingetrichtert. In gewisser Weise haben beide in den Jahren einen Entwicklungsprozess durchgemacht, so dass wir jetzt entspannt zusammen leben können.
Liebe Grüße von
Linda (Imbir)
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