Secret Newstime |
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Online-ZeitungAusgabe 21/2012 |
06.10.2012 |
Der Mann steht auf und zerrt seine Frau aus dem Restaurant, ich verstehe durch die Wintergartenscheibe nur irgendwas von wegen Häcksler und „quadratische Funktion zum Thema, wie viele Löcher der Mops hat“. Naja, vermutlich ging es nur um das Wetter, aber es interessiert mich ja auch nicht.
Nun schreitet die ältere Dame ans Buffet, sie schreit der Frau mit den Nürnberger Würstchen hinterher, sie hätte damals, als sie so alt war, nie so viel zu essen bekommen, und würde es viel mehr verdienen. Als ich die Frau höflich darauf hinweise, dass sie gefälligst mal hinmachen solle und es genug Nürnberger Würstchen für alle gebe antwortet sie mit „Jaja, die Jugend von heute!“. Ihr Mann pflichtet ihr bei und erzählt, als er so alt war wie ich, da hätte er schon seit 7 Jahren an der Ostfront gekämpft und völlig alleine Minsk zum Fall gebracht. Ich erwidere, dass mein Meerschweinchen Minsk zum Fall bringen könne, worauf hin er sagt, dass sie damals gar nicht am Meer waren. Ich weise ihn darauf hin, dass er sein Hörgerät einschalten soll, worauf hin er auf der Toilette verschwindet. Die ältere Dame verlässt das Buffet, ich nehme mir meinen Bedarf und überhole alle Beteiligten, die ironischerweise immer noch nach einem Tisch suchten. Ich hatte natürlich schon, wie es üblicherweise Deutsche im Ausland tuen, ein Deutschlandhandtuch auf einen Stuhl gelegt. Ich setze mich. Das ältere Ehepaar, der Mann ist wieder von der Toilette zurück, setzt sich an einen Tisch. Nicht an einen Tisch. An MEINEN Tisch. Der Mann beginnt zu erzählen, von damals, die Oma meint, die Jugend interessiere sich nicht mehr für die Vergangenheit. Dann verschwomm‘ alles, ich bin wohl eingeschlafen.
2 Uhr morgens. Ein Ringen weckt mich. Ich renne zum Telefon, reiße es aus der Fassung und schmeiße es aus dem Fenster. Ruhe. Ich frage mich nur kurz, wie ich vom Buffet hierher geraten war, dann schlafe ich wieder ein.
4 Uhr in der Früh. Es klopft. Die Kellnerin entschuldigt sich, eine Frau hätte sich vor der Feuerklingel übergeben, und ein Nürnberger Würstchen wäre so verkeilt, dass es dauerhaft geklingelt hätte.
7 Uhr morgens. Es ist hell. Ich werde wach von lauten Ausrufen. Gehe zum Fenster. Ein Mann schlägt mit seinem Krückstock auf ein Telefon, das komischerweise mitten in einem Hundehaufen liegt, an den im Moment ein Mops uriniert. „Satanswerk! Teufelswerk!“ – so untermalt er seine animalischen Taten gegen modernste Technik der frühen 1930er Jahre. Da sehe ich einen Mann mit einer Streitaxt in der Hand und jeder Menge Müsli im Gesicht auf den Mops zu rennen, der in sofortiger Hektik die Flucht ergreift. Ich gehe hinaus, ich kann ja eh nicht mehr schlafen. Im Innenhof bemerke ich erstaunlich viele quadratische Funktionen an den Wänden. Und irgendwelche Töne. Um einen besseren Überblick zu gewinnen fahre ich in den 8. Stock und schaue in den Dachgarten. Dort sitzt ein älterer Herr mit einer älteren Frau, beide vertieft in Kriegsgeschichten. Ein Mops keucht neben mir hoch, versteckt sich hinter dem Mann. Schaue nach unten. Herbertchen verteufelt gerade die Streitaxt. Die Kellnerin übermalt soeben den Innenhof neu. Schlage ihr vor, sie solle doch Logarithmusfunktionen zeichnen. Sie fragt mich, ob auf dem Dachgarten noch ein Platz sei.
Eben ein ganz normaler Tag.
Ich hoffe, euch hat die Geschichte gefallen. Über Rückmeldungen würde ich mich freuen :)
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