Wieder einmal sterben Menschen an belebten und beliebten Orten. Wieder einmal müssen wir mit dem Gefühl fertig werden, dass es auch uns hätte treffen können. So habe ich selbst auf dem World Trade Center an einem wunderschönen Tag im September 1996 den Ausblick über New York genossen und bin einige Jahre zuvor verliebt über die Rambla flaniert. Das Bataclan habe ich mit mit meinen Lieblingsmusikern Lou Reed, Nico und John Cale verbunden. Man wird jedenfalls das Gefühl nicht los, dass die jungen Männer, die vollkommen unbeteiligte Menschen mit in ihren eigenen Tod reißen, auch mir persönlich eine (unterbewusste) Botschaft zusenden wollten. Jedenfalls haben sie die Orte, die mir etwas bedeutet haben, mit Blut getränkt, so dass ich nicht mehr unbefangen in meinen Erinnerungen schwelgen kann. Was könnten diese unterbewussten Botschaften sein? Zunächst einmal fällt auf, dass die Terrorakte die Staatsmacht herausfordern sollen. Jeder Terror desavouiert diese, so dass sie regelmäßig panisch und martialisch reagiert. Erstes Opfer ist regelmäßig die Freiheit. Unter dem Deckmantel der Terrorbekämpfung werden die Bürger vermehrt kontrolliert und auf ihre Daten zugegriffen. Das geschieht mal verschämt, mal ganz offen und manchmal auch so selbst verständlich, wie z.B. im Zusammenhang mit der Handydatenverwertung von Asylbewerbern, dass nicht nur einem Sozialliberalen mulmig wird. Dass hier der stete Tropfen den Stein höhlt, ist nicht zuletzt mit Blick auf die Türkei oder die USA keine Paranoia mehr. Ist es also die Botschaft, dass mein eigenes Gemeinwesen, der Staat, der mich beschützen soll, gar nicht so freiheitsliebend ist. Dass er auch in meinem Namen interessengeleitete Politik betreibt, die anderswo möglicherweise die Freiheit einschränkt? Zweitens fällt auf, dass die meisten Männer aus unserer Mitte stammen. Die Attentäter aus Barcelona entstammen alle aus einem kleinen Ort in Katalonien. Die Männer, die Flugzeuge kaperten und in das World Trade Center flogen, haben lange Jahre in Deutschland studiert. Die französischen Attentäter sind in Frankreich aufgewachsen. Wenn die Attentäter also unter uns gelebt haben, stellt sich unwillkürlich die Frage, ob nicht theoretisch jeder von uns zu einem Attentäter hätte werden können. Was hat also einen Jugendlichen aus einem Pariser Vorort veranlasst, auf andere Jugendliche in einem Pariser Konzertsaal während eines Konzertes zu schießen? War es vielleicht nur glückliche Fügung, dass für mich die Orte des Terrors Sehnsuchtsorte waren und nicht Orte blutiger politischer Manifestationen? Ist es gerade das, was die Attentäter mir sagen wollten? Das meine Sehnsucht nicht ihre Sehnsucht ist. Drittens ist augenfällig, dass nach jedem Terroranschlag offenbar auch ein stückweit klammheimliche Freude an den Orten herrscht, die selbst in den Fokus des Westens geraten sind, sei es wegen ihrer strategischen Lage oder ihrem Rohstoffreichtum. Steckt hinter dem blutigen Terror nicht durchaus auch berechtigte Kritik, dass die Länder des Westens andere Länder vornehmlich unter dem Blickwinkel von Handelsmöglichkeiten betrachten und selten auf Augenhöhe mit ihnen Handel treiben möchten. Ist es vielleicht meine eigene Borniertheit, mit der ich mich gedankenlos auf jedes neue iPhone stürze, ohne die Packungsbeilage zu den Nebenwirkungen zu lesen, die mir die die Attentäter vorhalten möchten?
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Schließlich fällt sicherlich auch auf, dass die Religionszugehörigkeit der Attentäter der Islam ist. Allerdings habe ich hier den Eindruck, dass mir die Attentäter diesbezüglich nichts sagen wollten. Dass der Islam von allen Seiten missbraucht wird, ist für mich eine Tatsache. Ohne jetzt in geschichtliche Zusammenhänge auszuschweifen, müssen wir feststellen, dass der Westen bereits seit sehr langer Zeit nicht mehr religiös geprägt ist. Die vielen Menschen, die in den letzten Jahren in unser Land gekommen sind, sind jedenfalls nicht hierhergekommen, weil sie hier ihre Religion frei ausüben dürfen. Sie sind vorwiegend hier, weil unser Land ihr Sehnsuchtsland ist, weil unsere Gesellschaft ihre Sehnsuchtsgesellschaft ist, weil unsere Freiheit ihre Sehnsucht nach Freiheit ist. Vielleicht ist das die Botschaft, die ich aus diesem und jedem weiteren Attentat herauszuhören möchte, dass die Freiheit nicht nur einigen Privilegierten, sondern auch den Unterdrückten, den Schwachen, den Vergessenen, dass sie uns allen gehört. Folglich ist der Terror in Barcelona Symptom einer Zeit, die vermehrt Angst vor der Freiheit hat und ihr Heil in Ausgrenzung und Vernichtung sucht. So unverständlich uns das Handeln von jungen Männern erscheint, die sich scheinbar so sinnlos opfern und Unschuldige töten, so fällt auch ein Schatten auf unser eigenes Handeln, sei es, dass wir diese Männer nicht von unserem auf Way of Live überzeugen konnten, sei es, dass wir ihr Handeln nicht richtig einordnen und deuten können. Daran sollten wir arbeiten und nicht Reflexhaft den Islam oder die Ausländer für den Terror verantwortlich machen. |
Ausgabe September 2017 Nr.1
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