-SH- 15. April 2012 Einmal völlig ungewohnt für die regelmäßigen Besucher der Osnabrücker Friedensgespräche präsentierten diese sich am Sonntag, den 15.04.2012 nicht wie gewohnt in der Aula des Schlosses oder im Saal der Osnabrückhalle, sondern im Theater Osnabrück. Das Thema dieses Mal wies darauf hin, ob sich politische (Kriegs-)Realität und und (Theater-)Kunst miteinander vereinbaren lassen und ob Kunst den Grausamkeiten des Krieges gerecht werden kann. Zunächst eröffnete der Intendant des Theaters Osnabrück, Ralf Waldschmidt, das Osnabrücker Friedensgespräch mit seinem Grußwort an alle Gäste und Zuschauer. Anschließend richtete auch Bürgermeister Burkhard Jasper das Wort an alle Anwesenden und wünschte ein anregendes Friedensgespräch: Bevor mit der Berichterstattung über das Friedensgespräch fortgesetzt wird, werden die Teilnehmenden kurz vorgestellt: Dr. Carolin Emcke (Berlin) ist Publizistin, Autorin und Journalistin und für ihre Berichterstattungen aus den Krisenregionen dieser Welt bekannt. Reinhold Robbe (SPD) war Wehrbeauftragter des Deutschen Bundestages. Seit 2010 ist er Präsident der Deutsch-Israelischen Gesellschaft. Ulrich Khuon ist Intendant des Theaters Berlin und gleichzeitig Vorsitzender der Intendantengruppe im Deutschen Bühnenverein. Dr. Hans Dieter Heimendahl von der ARD (Radio Bremen / Nordwestradio) moderierte die Gesprächsrunde. Dr. Carolin Emcke eröffnete die Gesprächsrunde mit einem Bericht aus ihrer journalistischen Tätigkeit, die sie vornehmlich in die großen Kriegs- und Krisenregionen dieser Welt führen. Sie verweist auf die Vulgarität des Krieges und plädiert dafür, Krieg nicht durch schönfärbende Terminologie zu verharmlosen, sondern ihn als das zu bezeichnen, was er ist: Krieg. Reinhold Robbe stimmte Carolin Emcke als ehemaliger Wehrbeauftragter des Deutschen Bundestags darin zu, dass es politisch unverantwortlich war, Kriegseinsätze zu Brückenbau- und Stabilisierungseinsätze zu deklarieren. Er sah einen Grund für die große Popularität des ehemaligen Verteidigungsministers zu Guttenberg darin, dass dieser als erster verantwortlicher Minister den Afghanistaneinsatz als "Krieg" bezeichnete. Allerdings verwies Reinhold Robbe auch darauf, dass die politische Welt anders ist, als es sich Pazifisten wünschen und dass man um Kriegseinsätze nicht immer herumkommt. Ulrich Khuon gelang der Bogen von den realen Kriegsgebieten, der seriösen Berichterstattung und der politischen Verantwortung für Krieg hin zur Theaterkunst. Er verwies darauf, was Kunst zu leisten imstande ist bzw. was sie nicht zu leisten vermag. Theaterkunst ist kaum in der Lage, alle detailgenauen Facetten des Krieges auf der Bühne abzubilden. Dafür gelingt es dem Theater, die Emotionen des Krieges widerzuspiegeln und dem Zuschauer eindringlich nahezubringen. Nach der Runde mit den persönlichen Statements eröffnete Dr. Heimendahl die gemeinsame Diskussion, an der sich auch das Publikum beteiligen konnte: |
Angeregt durch einen Beitrag aus dem Publikum gelangte die Gesprächsrunde dahin, dass Krieg Opfer hinterlässt - auch auf der Seite der Soldatinnen und Soldaten, was die vielen posttraumatischen Belastungsstörungen zeigen sollten. Dagegen merkte ein anderer Zuschauer an, dass der Krieg nicht nur Opfer kenne, sondern auch Täter, die von einer gewissen "Lust am Töten" wären und ihre "männliche Omnipotenz" unter Beweis stellen wollten. Dr. Emcke, die selbst niemals Soldaten begleitet, sondern immer nur über Zivilisten berichtet, recherchierte einmal im Folterskandal von Abu Ghraib. Gerade dieser Fall war Beleg dafür, dass Foltern und Demütigen nicht nur ein Hilfeschrei einzelner Opfer unter den Soldaten ist, die ein Ventil für die seelischen Belastungen suchen, sondern dass es sich dabei um ein breit angelegtes System handelt, an dem viel mehr als nur einige wenige beteiligt waren. So kritisierte die Journalistin, dass sich die Presse ausschließlich auf die Person von Charles Graner und Lynndie England konzentrierten. Graner sei bereits als gewalttätig im privaten Bereich bekannt und arbeitete zuvor als Aufseher in einem amerikanischen Hochsicherheitsgefängnis. Lynndie England bezeichnete Emcke als "nahezu debil". Beide seien kaum geeignet, einen wirklich fundierten Einblick in den Folterskandal und seine Ursachen zu geben. Viel interessanter fand sie Vorgesetzten, der als braver Familienvater und sehr zuverlässig galt. Auch er tolerierte die Vorfälle in Abu Ghraib und sei viel besser geeignet aufzuzeigen, wie Menschen plötzlich in Ausnahmesituationen zu Folterknechten werden können anstatt von Natur aus gewalttätige oder kognitiv eher eingeschränkte Menschen, denen ein umfassendes Urteilsvermögen eher abgehen dürfte. Die Osnabrücker Friedensgespräche konnten keine Antworten auf Fragen liefern, auch blieb nicht die Zeit, um auf noch mehr Fragen aus dem Publikum einzugehen. Aber sie konnten das Thema "Krieg" mit allen seinen unschönen Facetten aus vielfältigen Perspektiven beleuchtet werden. Einmal war es die Journalistin, die aufzeigte, wie schwierig es ist, bereits eine differenzierte Berichterstattung überhaupt vorzubereiten, indem Journalisten nicht in jedes Kriegsgebiet vorgelassen werden. Zu diesem Zeitpunkt steht noch nicht ein einziger Gedanke zum späteren Text. Alleine die Umstände, überhaupt berichten zu können, sind nicht immer gegeben. Dann zeigte der Politiker auf, dass man als Volksvertreter nicht einfach eine Entscheidung zum Entsenden von Soldaten trifft, sondern dass sich jeder einzelne Abgeordnete tiefgehende Gedanken macht, ob er diesem Einsatz zustimmen soll oder nicht. Allerdings ist die Verstrickung in die internationale Politik nicht immer auf der Seite des persönlichen Gewissens und verlangt manchmal Vernunftentscheidungen, auch wenn sie dem eigenen Gewissen entgegen stehen. Nicht zuletzt war es der Theaterintendant, der aufzeigte, wie wichtig Kunst in diesem Zusammenhang ist, weil sie die Funktion eines moralischen Gewissens der Gesellschaft übernimmt und die Emotionen der Kriegsbeteiligten in den Fokus rückt. Mit Lösungen in der Tasche konnte wohl kein Beteiligter - weder Diskussionsteilnehmer noch Zuschauer - nachhause gehen, dafür aber bereichert um viele Anregungen zum persönlichen Weiterdenken. In diesem Sinne war das Osnabrücker Friedensgespräch wieder einmal sehr gelungen. |
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