B: Die Intention des Autors ist für mich natürlich wichtig beim Schreiben, ich glaube aber für das Gedicht ist sie im Nachhinein überhaupt nicht mehr wichtig. Weil, wenn man die Intention des Autors nicht findet, ist es komplett egal, denn das Gedicht besteht, ob ich mir dies oder das dabei gedacht habe. Wenn ich mir nämlich X dabei gedacht habe und X steht im Gedicht drin und das Gedicht trägt, weil X darin steht, dann ist es gut, aber es ist vollkommen egal, ob ich mir davor X oder Y gedacht habe und trotzdem X drin steht. Am Ende muss das Gedicht funktionieren als etwas, was von einem Leser rezipiert wird und nicht von mir als Autorin nochmal rezipiert wird. Es geht nicht darum, dass ich meine eigenen Gedanken darin wiederfinde, sondern, dass das Gedicht spricht und der Autor es eben verfasst hat. I: Wir haben uns bei Ihrer Lektüre dennoch die Frage gestellt, weil Sie eben auch ein Kapitel in Ihrem Gedichtband „Sommer vor den Mauern" dem Protestantismus gewidmet haben, welche Rolle dieser in Ihrem Werk spielt? B: In dem Gedicht kommen ja zum einen sehr stark katholisch geprägte Motive vor, z.B. Papstgedichte, zum anderen, als Gegengewicht protestantische, wobei natürlich das Protestantische immer eine Überschreibung des Katholischen ist, weil die Klöster, die man jetzt begeht, waren natürlich vor der Reformation katholische Klöster. Das sind eigentlich selten Gebäude, die – also in Norddeutschland – man sich mit Interesse anschaut, die nach der Reformation erst erbaut wurden. Das heißt, man hat eine Neubeschreibung von den Motiven, die man vorher im Gedichtband ohnehin schon gefunden hatte. Und mein persönliches Interesse daran ist, dass ich in Bremen aufgewachsen bin. Das ist eine sehr protestantisch geprägte Gegend, ich bin aber selbst katholisch erzogen worden. Das hat so einen Enklaven-Charakter. Also man ist in der Schule, sitzt dann mit 25 Schülern zusammen, 23 gehen zum Konfirmationsunterricht und 2 gehen zum Kommunionsunterricht. Und von diesen zwei ist wahrscheinlich einer zugezogen und ich bin die andere Person. Das sensibilisiert natürlich für die Unterschiede, für die Differenzen, aber auch für die Gemeinsamkeiten, während es für die 23 protestantischen Schülerinnen und Schüler, für die das ja alles ganz normal war, die also einfach das gelebt haben, was ohnehin in dieser Stadt prägend war, kaum einen Unterschied gab. Also im Sinne von: „Ja, Gott – das heißt halt irgendwie anders.“ Ich würde prinzipiell von mir sagen, dass ich natürlich im Endeffekt absolut protestantisch bin, weil diese gesamte Mentalität Bremens eine sehr, von einer protestantischen Ethik geleitete Mentalität ist. Ich aber wechsle auch viel zwischen Regionen: ich bin immer wieder viel und lange in Rom, habe dort auch studiert, und wohne da immer wieder und genau dieser Wechsel fasziniert mich einfach. In dieser extrem katholisch geprägten Gegend, wo ich mich dann unglaublich protestantisch fühle. I: Sie haben ja in Ihrem Werk nicht nur den Protestantismus thematisiert, sondern haben mit dem Kapitel „Exerzitien" auch einen allgemeineren Bezug zur Religiosität genommen? B: Das sind Motive, die mich genau deswegen einfach so sehr interessieren, weil ich irgendwie immer gewissermaßen eine Diaspora-Katholikin war, und eben diese Doppelprägung hatte. Während, wenn ich in Süddeutschland aufgewachsen wäre, wo der Katholizismus etwas ganz Normales gewesen wäre, ich mich nie dafür interessiert hätte – weil ich mich dann einfach nicht damit auseinandergesetzt hätte, weil die Prägung meines Umfeld und die Prägung innerhalb meiner Familie exakt das Gleiche gewesen wäre und dann hätte ich nicht hinterfragt: „Warum machen wir etwas anders, als die anderen?“; weil es eben nicht anders gewesen wäre. Und so ist immer eine gewisse Sehnsucht nach der mit der eigenen Erziehung korrespondierenden Umgebung vorhanden, die aber dann, sobald ich in einem absolut katholisch geprägten Gebiet, z.B. Rom, war, sofort aufhört und ich dann eher so eine Abwehrreaktion habe gegen das Zuviel an Katholischem. Aber sobald ich dann wieder in den protestantischen Gebieten bin, setzt dann diese Sehnsucht wieder ein.
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I: Nun nochmal zurück zu den Ernst-Jandl-Lyriktagen: Sie waren ja gestern in der Halle, wo die Gedichte der SchülerInnen vorgelesen wurden. Wie haben Ihnen diese gefallen? B: Ich habe nicht alle mitbekommen, weil ich nicht so richtig zuhören konnte. Ich habe mir ein paar als Postkarten mitgenommen und ich war überrascht - also es ist schon alles sehr „Ernst Jandl“, es sind also in dem Sinne nicht eigenständige Gedichte, sondern da wird eine Schreibweise von Jandl übernommen und wird neu geschrieben. Eigentlich ist es eher eine Lektüre von Jandl als ein eigenständiges Gedicht, aber ich war trotzdem unglaublich überrascht, was da für tolle Gedichte dabei rausgekommen sind, von offensichtlich sehr, sehr jungen Leuten (lacht). I: Wie gefällt Ihnen diese Veranstaltung prinzipiell? Auch dass die SchülerInnen involviert sind? B: Das finde ich sehr gut. Ich weiß zwar nicht, wie das genau aussieht. Vielleicht sitzt die LehrerIn mit bösem Blick (lacht) hinter den Schülern, die schreiben. Aber eigentlich könnte ich mir vorstellen, dass es vielleicht so einen spielerischen Umgang mit Lyrik schafft und erst mal Spaß macht und eigene Kreativität herausfordert und nicht das sture, rein logische Aufdröseln von einem Text, der am Ende dann übersetzt werden soll - in eine ohnehin schon fertige Interpretation. Es wäre schön, wenn es dadurch einfach ein bisschen offener, freier ist; das Schreiben und das Lesen. I: Also ein positives Projekt im Großen und Ganzen? B: Ja. I: Vielen Dank für das Interview. |
Zur Person:
Nora Bossong wurde am 9. Januar 1982 in Bremen geboren. Nach dem Studium der Literatur am Deutschen Literaturinstitut in Leipzig sowie Kulturwissenschaft, Philosophie und Komparatistik an der Humboldt-Universität zu Berlin, der Universität Potsdam und der Universität La Sapienza in Rom veröffentlichte sie 2006 ihren ersten Roman „Gegend“. Sie hat sich in Fachkreisen sowohl für ihre Lyrik, als auch für ihre Prosa einen Namen gemacht.
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