Die Regierung will ihren Bürgern nicht eingestehen, dass die Rettung Athens Steuergeld kostet. Deshalb wählt man komplizierte Konstruktionen – über die sich vor allem Spekulanten freuen.
Und er kommt zu dem Ergebnis: Nur ein Traum war das Erlebnis. Weil, so schließt er messerscharf, nicht sein kann, was nicht sein darf." An diese Sätze aus Christian Morgensterns Gedicht "Die unmögliche Tatsache" konnte sich erinnert fühlen, wer der Bundestagsdebatte zur neuen Griechenland-Hilfe lauschte. In bemerkenswerter Einmütigkeit bemühten sich die Redner der schwarz-gelben Koalition, das böse Wort mit S aus den Köpfen ihrer Zuhörer zu verbannen. Rufe nach einem Schuldenschnitt seien die "falschen Spekulationen zur falschen Zeit", sagte Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble (CDU). Ein Schuldenschnitt sei derzeit gar nicht möglich, sekundierte der FDP-Fraktionsvorsitzende Rainer Brüderle. Und Unionsfraktionschef Volker Kauder ergänzte, es sei völlig abwegig, über Schuldenschnitte zu sprechen. Die Illusion der geliehenen Milliarden Union und FDP bleiben ihrer Linie treu: Die Deutschen sollen weiterhin glauben, dass sie in der Euro-Krise glimpflich davonkommen, dass Griechenland all die erhaltenen Hilfsmilliarden zurückzahlen wird. Zumindest bis zur Bundestagswahl im nächsten Herbst, so die unausgesprochene Maxime, muss diese Illusion halten. Auch neues Steuergeld soll bis dahin tunlichst nicht fließen. Was jedoch herauskommt, wenn ein Land entweder weniger Schulden oder mehr Geld brauchte, aber niemand Schulden erlassen oder mehr Geld geben will, ist bei der Griechenland-Einigung aus dieser Woche zu besichtigen. Es ist ein Werk voller Nebelkerzen und fauler Kompromisse. Im besseren Fall gibt es dabei einen Etikettenschwindel, weil Kosten für den Steuerzahler nicht als solche ausgewiesen werden. Im schlechteren Fall kosten die Notlösungen zusätzliches Geld, das an Akteure geht, die der Steuerzahler nie alimentieren wollte: spekulativ agierende Hedgefonds. Der IWF will einen klaren Schnitt Der Einigung der Griechenland-Retter war ein monatelanges Gezerre vorausgegangen. Die Front verlief dabei vor allem zwischen den Europäern und dem Internationalen Währungsfonds (IWF), der die Milliardenhilfen für das Mittelmeerland mit finanziert. Zweieinhalb Jahre nach Ausbruch der Krise verlangte der IWF ein Ende der halb garen Lösungen, einen klaren Schnitt. Und weil nur noch ein kleiner Teil der griechischen Schulden bei privaten Gläubigern liegt, hätte das vor allem eines bedeutet: Die Euro-Staaten hätten auf einen Teil der Kredite, die sie Griechenland gewährt haben, verzichten müssen. Doch obsiegt hat letztlich die Taktik der Europäer: weiteres Durchwursteln. Das fehlende Geld wird irgendwie zusammengefegt. "Das vereinbarte Paket zielt nicht gerade darauf ab, die Transparenz zu erhöhen", ätzt man in Notenbankkreisen. Die Kredite sind längst zu Geschenken geworden Kein zusätzliches Geld für Griechenland, lautet die Botschaft. "Das Programmvolumen bleibt bestehen", beteuert Schäubles Ministerium in einer Übersicht für interessierte Bürger. Das ist korrekt, aber nur die halbe Wahrheit. "Es wird immer deutlicher, dass die ganzen Rettungsmaßnahmen dargestellt werden, als würde man kein Geld verlieren", sagte der Ökonom Hans-Werner Sinn, Leiter des Münchener Ifo-Instituts, der "Welt am Sonntag". Dabei bedeutet der Kompromiss bereits unwiederbringliche Einbußen für den Bund. Nur verbergen sie sich hinter so harmlosen Positionen wie einer Verlängerung der Laufzeit der Hilfskredite oder einer Absenkung der Zinsen. "Durch die Zinssenkungen werden die Kredite zu Geschenken gemacht, ohne dass man es heute ausweist", kritisiert Sinn. "Wir haben über die Zinssenkungen einen gewaltigen Schuldenschnitt gemacht, der für Deutschland im Grunde den gleichen Effekt hat wie ein Erlass der Schulden. Dieser Nachteil für die Steuerzahler und Rentner wird von der Politik allerdings verschleiert." Zentralbank-Bilanzen als Verschleierungstaktik Fortgesetzt wird die Verschleierungstaktik mit der Mär, die Europäische Zentralbank (EZB) verzichte auf Zins- und Kursgewinne aus den von ihr aufgekauften Griechenland-Anleihen. Tatsächlich fließen die Gewinne ohnehin über die nationalen Notenbanken an den jeweiligen Fiskus. Folgerichtig schuldet den deutschen Beitrag von zusammen 1,13 Milliarden Euro in den Jahren 2013 und 2014 nicht die Bundesbank, sondern der deutsche Finanzminister. In der Öffentlichkeit hält sich dennoch die von der Politik beförderte Ansicht, hier gehe es nicht um Geld aus dem Bundeshaushalt. Ähnliche Verwirrung herrscht um einen weiteren Punkt des Pakets: Das Krisenland soll zusätzliche Kurzfrist-Anleihen über neun Milliarden Euro ausgeben. Schäubles Ministerium verkauft das in der Beschlussvorlage für den Bundestag als "Beitrag Griechenlands", was fast schon aberwitzig ist. Denn diese Anleihen werden wohl ausschließlich griechische Banken kaufen, die wiederum am Tropf der Euro-Zentralbanken hängen. Der Schuldenrückkauf klingt zunächst gut Wichtigstes Element des Griechenland-Kompromisses ist schließlich ein Schuldenrückkauf. Und dieser Teil birgt zugleich die größten Probleme. Dabei klingt die Idee zunächst einleuchtend: Griechische Anleihen werden an den Finanzmärkten derzeit nur zu ungefähr 30 Prozent ihres Nennwerts gehandelt. Statt am Ende der Bond-Laufzeit einen Betrag von 100 Prozent zurückzuzahlen, soll die Regierung in Athen die Schulden jetzt zu 30 bis 35 Prozent zurückkaufen. Das soll helfen, den erwarteten griechischen Schuldenstand von 144 Prozent der Wirtschaftsleistung im Jahr 2020 wenigstens in die Nähe der 120 Prozent drücken, die der IWF einfordert. "Wenn man nur einen Euro ausgeben muss, um drei Euro an Schulden abzuschreiben, ist das ein gutes Geschäft für Griechenland und die Euro-Staaten", sagt Commerzbank-Chefvolkswirt Jörg Krämer. Ein Großteil der privaten Gläubiger sind Hedgefonds Die Idee verliert aber an Charme, wenn man sich ansieht, bei wem die rund zehn Milliarden Euro, die Griechenland für den Rückkauf ausgeben soll, vor allem landen werden. Anleihen von bis zu 65 Milliarden Euro vermuten Analysten noch im Besitz privater Gläubiger. Gut 20 Milliarden davon liegen bei griechischen Banken oder Sozialkassen, die ohnehin von europäischer Hilfe abhängig sind. Dazu kommen einige Milliarden bei nichtgriechischen Banken. Der große Rest gehört hauptsächlich Hedgefonds. Sie sind zumeist eingestiegen, als das Land bereits tief in der Misere steckte. Ihr Kalkül: Die Euro-Partner würden Athen am Ende nicht fallen lassen. Nun könnte die Wette zumindest in Teilen aufgehen. Die Spekulanten können nur gewinnen Die Fonds, die die Anleihen größtenteils zu Kursen von unter 20 Prozent des Nennwerts gekauft haben, stehen vor einem echten Luxusproblem: Sollen sie ein 35-Prozent-Angebot annehmen und sich damit eine Rendite von an die 100 Prozent unwiderruflich sichern? Oder sollen sie die Papiere doch lieber behalten, um auf noch mehr zu hoffen? Denn wenn die Gesamtschulden Griechenlands sinken, steigen die Chancen, dass der Rest tatsächlich zurückgezahlt wird. Erfahrungsgemäß beflügelt das die Anleihenkurse zumindest vorübergehend. "Hedgefonds sind so oder so die großen Gewinner", sagt der frühere Deutsche-Bank-Chefvolkswirt Thomas Mayer. Das sieht man auch in der Branche selbst so: "Für meine Kunden ist der Rückkauf sehr gut", sagt Gabriel Sterne von der Londoner Bankenboutique Exotix, die Hedgefonds betreut. "Für Griechenland und seine Retter eher nicht." Im Moment ist der Rückkauf gar nicht nötig Aus Sternes Sicht werfen die Staaten den Investoren die Milliarden ohne Not in den Rachen. Schließlich ist ein Großteil der fraglichen Anleihen frühestens in zehn Jahren fällig. "Warum gibt man dann jetzt Geld für einen Schuldenrückkauf aus, das man besser investieren könnte, um die griechische Wirtschaft in Gang zu bringen?", fragt sich Sterne. Das Konstrukt erscheint nur deshalb attraktiv, weil sich die Retter allein den Schuldenstand im Jahr 2020 als Ziel gesetzt haben und weniger den Weg dorthin. Dabei ist alles andere als sicher, dass das Manöver überhaupt gelingt. "Für Hedgefonds bestehen große Anreize, ihre Anleihen weiter zu behalten und auf weitere Kursgewinne zu setzen", sagt Jürgen Michels, Europa-Chefvolkswirt der Citigroup. Die Retter stecken in einem Dilemma Gelingt es Griechenland aber nicht, Schulden in Höhe von rund 30 Milliarden Euro zurückzukaufen, ist die Rechnung der Retter Makulatur. Der Zielschuldenstand von 124 Prozent, für den ohnehin schon Luftbuchungen und optimistische Wachstumserwartungen nötig waren, wäre nicht einmal mehr auf dem Papier zu erreichen. Ex-Deutsche-Bank-Ökonom Mayer sieht die Griechenland-Retter in einem Dilemma. "Wenn es in der Tat so wäre, dass Griechenlands Schulden nun tragfähig wären, dann gäbe es für die Besitzer von griechischen Staatsanleihen keinen Grund, sich jetzt von diesen Anleihen unter pari zu trennen", sagt er. "Wenn die Schulden aber nicht tragfähig sind, dann dürfte der IWF das Programm eigentlich nicht mehr unterstützen." Das aber heißt: Mitte Dezember könnte Griechenland wieder ohne funktionierendes Rettungsprogramm dastehen. Spätestens dann könnte die Autosuggestion der Regierungsparteien ein jähes Ende finden. "Ein Schuldenschnitt könnte der nächste Schritt sein", sagt Commerzbank-Ökonom Krämer. "Denn alle anderen Instrumente sind jetzt weitgehend ausgeschöpft." |
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