Abseits und verschwunden |
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Online-ZeitungAusgabe 20 |
Kurzgeschichte Teil 2 |
28.09.2012 |
Mir war es egal, was die anderen von mir gehalten haben. Ich war mir sicher, dass ich etwas unternehmen musste und der Rest würde sich von alleine ändern, so hoffte ich jedenfalls. Im Klassenbuch stand eine Liste mit den Namen aus der Klasse mit den jeweiligen Straßen. Ich suchte unter S nach ihrem Namen, schließlich hieß sie Tanja Schütte. Endlich hatte ich sie gefunden und so wusste ich, wo sie wohnte. Die Gesichter der anderen drangen an mich, wie eine Flut von außen, die mich versuchte umzustimmen. Doch ich musste etwas machen und so ging ich nicht auf sie ein.
Ich glaube in meinem ganzen Leben war ich noch nie so schnell gerannt, wie an diesem Tag. Ich hatte einfach zu viel Angst um sie. Ich konnte ihr als einziger nur noch helfen. Zum Glück hat der Tagebucheintrag den Richtigen gefunden, dachte ich immer wieder. Was, wenn es an einen gekommen wäre, der sie seit der ersten Klasse ärgerte? Würde er dann auch so reagieren? Bestimmt nicht. Die Worte waren immer noch in meinem Kopf und dann sah ich Tanja. Sie schrieb grad den Eintrag und ich würde gerne wissen, was ihr in diesem Moment im Kopf geschah. War sie glücklich, es jemanden anonym mitzuteilen? Oder war sie eher verzweifelt. Zuvor habe ich noch nie über Selbstmordmethoden nachgedacht, doch auf einmal traten die unterschiedlichsten Anwendungen in meinen Gehirn auf. Warum gerade Tanja?
Würde sie Tabletten nehmen oder sich doch aufhängen lassen? Würde sie sich von einer Brücke stürzen? Dieses fröhliche Mädchen, das stets ein Lächeln auf dem Gesicht hatte, wo war es? Und plötzlich waren diese vielen Jahre, mit denen ich zusammen auf der Schule mit ihr gegangen war ein kleiner Sprung. Sie könnten noch so viel erleben, aber ich müsste die alte Tanja dafür wiederfinden.
Es dauerte lange bis das ich das richtige Haus gefunden hatte. Ich stürmte die Treppenstufen herauf und klingelte Sturm. Doch die Tür öffnete sich nicht. Ich versuchte es immer wieder. Und nach ein paar Minuten machte dann endlich wer die Tür auf. Das zerzauste Haar, was ich so sehr liebte war verschwunden. Stattdessen waren sie kurzgeschnitten. Ihre Augen sahen verheult aus und ich konnte kaum etwas sagen. Doch ich war die einzige Hoffnung für sie. „H-hi Tanja. Ich habe deinen Brief gefunden. Wenn du irgendwelche Probleme hast, ich bin immer für dich da. Aber mach bitte keine Scheiße.“ „Danke, Felix.“, war ihre Antwort, doch ihr Unterton verriet mir, dass sie glücklich war, einen zu haben. Oder bildete ich mir das nur ein? „Ich wollte dir schon immer sagen, dass du etwas ganz besonderes für mich bist. Und du es immer sein wirst. Und ohne dich würde etwas in meinem Leben fehlen.“ Selbst ich wusste nicht, was ich überhaupt redete. Sie sollte bloß keinen Selbstmord machen. „Du mir auch. Aber ich kann nicht mehr.“, gab sie enttäuscht von sich. „Aber Tanja, wir können fliehen, so wie Bonnie und Clyde. Wir können zusammen neu anfangen. Du hast doch noch alles vor dir! Bitte hör auf.“ Ich wusste nicht ob es was gebracht hatte. Doch sie gab keine Antwort mehr von sich. Ihr Blick war auch nicht zu identifizieren. War sie froh oder einfach nur geschockt, dass einer so reagiert hat? Ich wusste es nicht. „Versprech es mir, bitte.“ „Versprochen…“, kam die Antwort, jedoch etwas zögerlich. Ich drehte mich noch einmal um und rannte los. War es ein Fehler loszurennen? Habe ich mit dieser Gestik alles ruiniert? Aber sie hat es mir versprochen.
Die Nacht war die schrecklichste in meinem Leben. Immer wieder dachte ich an sie und was sie gerade machen würde. Und ich freute mich auf morgen, weil ich sie dann endlich wieder sehen würde. Das sagte mir mein Gefühl und das hatte mich dich ganzen Jahre über nie im Stick gelassen. Am nächsten Morgen war ich gespannt, ob sie in der Schule war. Und wiederum fand ich einen Zettel unter meinem Stuhl. Aber auf ihm stand ein dickes „Danke! <3 Wir treffen uns um 3 im Eiscafé.“ Sie lebte und ich war glücklich. Heute um 3 Uhr war alles so wie früher und endlich konnte ich wieder Lächeln. Ich freue mich auf heute Nachmittag. Und so war ich an diesem Tag, trotz der Schule gut gelaunt.
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