Endredaktion | Alle Texte fertig | 04.07.2012 |
f) Beziehung zwischen älterer Schwester und jüngerem Bruder: Die ältere Schwester muss sich liebevoll um ihren Bruder, auch von seiner Geburt an, kümmern. Dabei spürt sie, dass ihr Bruder, wie alle Söhne in koreanischen Familien, bevorzugt wird. Daher werden ältere Schwestern eifersüchtig und neidisch. Dennoch muss sie lernen, sich unter den Augen ihrer Eltern und auch unter anderen Erwachsenen zu beherrschen. Im Laufe des Entwicklung übernimmt sie wir bei der Beziehung zwischen dem älteren Bruder und der jüngeren Schwester die Mutterrolle an. Das zeigt sich besonders darin, dass sie in der Außenwelt bzw. in einer Gesellschaft ihren jüngeren Bruder bei seinen Angelegenheiten unterstützt und ihn schützt, denn sie weiß, dass „draußen“ alle Geschwister allein sind. |
g) Beziehung zwischen Brüdern und die Beziehung zwischen Schwester und Schwester: Wie in fast jedem Bruder-Bruder-Verhältnis gibt es in dieser Beziehung öfters Gewaltprozesse. Der Jüngere muss den Älteren, auch wenn er vielleicht ein Tag älter ist, siezen. Hier muss man verdeutlichen, dass diese Beziehung wie die Schwester-Schwester-Beziehung sehr komplex ist. Wenn sich beide streiten, werden beide bestraft. Der oder die Jüngere wird dafür bestraft, dass man die Meinung des/der Älteren respektieren muss, auch wenn sie falsch sein kann, weil beide, wenn ihre Eltern irgendwann fort sind, allein auf der Welt sind, und der/die Ältere sich um ihn/sie kümmern muss, wie er/sie es jetzt für ihn/sie tut. Daher wird ihm/ihr klargemacht, dass sich beide immer gegenseitig unterstützen müssen. Der oder die Ältere wird dafür bestraft, dass er/sie sich beherrschen muss. Denn wenn man schon Zuhause vor den Eltern streitet, wie verhält man sich außerhalb mit dem Bruder/der Schwester? Und wenn man schon mit schwierig zu verstehenden Menschen, dem jüngeren Bruder/der jüngeren Schwester, nicht klarkommt, wie verhält man sich in Gegenwart anderer Personen und wie reagiert man, wenn ihm/ihr die Meinungen dieser Personen nicht gefallen? Streitet man genauso heftig mit diesen Personen wie Zuhause mit dem Bruder/der Schwester? Hier wird den älteren Geschwistern deutlich, dass im weiteren Leben der Einfluss von der Außenwelt schneller als der Einfluss der Eltern ist. Und je älter man wird, dass die Eltern keine Macht und keinen Einfluss auf sie haben werden. Daher sollten sie dankbar für die guten Ratschläge sein. |
Zum Abschluss möchte ich diese sieben verschiedenen Beziehungsarten in südkoreanischen Familien anhand eines Gleichnisses des ICH! -Boots und des WIR! -Boots von unserer Familie darstellen: Zwei Boote schwimmen auf dem Meer. Auf dem ersten Boot ist eine südkoreanische Familie und auf dem zweiten Boot ist eine deutsche Familie. Nun sind die Boote vor zwei Flussmündungen angekommen und beide Familien diskutieren darüber, welche Flussmündung sie nehmen. Welche Familie wird eine schnelle Übereinstimmung finden? Antwort: Die deutsche Familie verschwendet wegen ihrer langen Suche nach einem Kompromiss und wegen einzelner Familienmitglieder, die ihre eigenen Meinungen vertreten möchten, viel zu viel Zeit. Die südkoreanische Familie ist schneller als die deutsche Familie, weil der Älteste sich für einen Weg entschieden hat, und alle ihm folgen, auch wenn sie wissen, dass die Entscheidung falsch ist, weil sie wissen, dass sie dann nicht die Konsequenzen tragen werden, sondern der Verantwortliche. Daraus stellt man Folgendes fest: Und zwar, bewegen sich Familien aus dem Osten immer zusammen, während die westlichen Familien darüber entscheiden wollen, wer Recht hat oder nicht. Und aufgrund dieser ICH- und WIR-Konstellation gibt es einen einzigen, aber nur möglichen Nachteil in einer südkoreanischen Familie: Während die deutschen Kinder in der Außenwelt (z.B. in der Schule) stark ihre Meinung vertreten, können die koreanischen Kinder sich in der Außenwelt allein fühlen und sich mehr zurückhalten, weil sie bisher nur die WIR-Art gekannt haben. |
Interview mit Herrn Yoo-Chang Nah über das Thema „Deutsche Erziehung aus der Sicht von Ausländern“ Und zuletzt ein kurzes Interview mit meinem Vater Yoo-Chang Nah: Yoo-Chang Nah ist in Seoul (Südkorea) als Dozent für Gesang und Musikwissenschaft, Musikpädagogik und Klavier an der Hochschule für Tanz und Musik, als Professor am Dr. Hoch’s Konservatorium in Frankfurt am Main, als Jurymitglied beim Landeswettbewerb „Jugend musiziert“ und als Konzert- und Opernsänger tätig. Ich: Welche auffälligen Unterschiede gibt es zwischen Gymnasiasten/Gymnasiastinnen und Studenten/Studentinnen? Vater: Aus Erlebnissen von vielen Hochschulprofessoren, Dozenten, Studenten, Gymnasiallehrern, Nachhilfelehrern, die ich unterrichte, aus Berichten von mir bekannten Erziehungspädagogen und aus eigenen Erfahrungen, die ich auch durch dich aus deiner Klasse gesammelt habe, habe ich festgestellt, dass heutzutage deutsche Gymnasiasten und Gymnasiastinnen viel öfter als Jugendliche mit Migrationshintergründen, und in Bezug auf das südkoreanische Erziehungssystem zu sehr respektlos und zu „locker“ mit den Lehrern umgehen, und allgemein ein CHAOS ist. Man bemerkt dies sogar an der Art und Weise, wie deutsche Schüler ihre Lehrer anreden und mit ihnen umgehen. Doch im Gegensatz zu Gymnasiasten verhalten sich Studenten, die an Universitäten studieren und die ich unterrichte, ganz anders. Sie hören zu, sie sind sehr vorsichtig, sie haben es aus Respekt vor Lehrern sehr schwer, mich etwas zu fragen, sie sind aufmerksam, sie unterbrechen mich nicht, wenn ich rede und verhalten sich respektvoll. Daher habe ich mich immer gefragt, was geschieht in dem Zeitraum zwischen Abitur und dem Beginn eines Studiums in den Köpfen dieser Leute. |
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