Redaktion: „Über die Vorgeschichte des 1.Weltkriegs gibt es unter den Historikern unterschiedliche Ansichten. Können Sie uns die wichtigsten Faktoren nennen, die Ihrer Meinung nach zum Ausbruch des Krieges geführt haben?“
Herr Mayer: „Die Gründe sind vielfältigster Art. An erster Stelle steht meines Erachtens nach der Kampf der Weltmächte um Einflusszonen, Rohstoffe und Absatzmärkte, dann der Rüstungswettlauf und die Entwicklung neuer Waffen. Zum Beispiel : Panzer, Maschinengewehr, Flammenwerfer, Giftgas und Bomben.
Schon im August 1914 warf ein deutscher Zeppelin Bomben über Lüttich und Antwerpen ab. Eine weitere entscheidende Rolle spielten auch ethnische und soziale Spannungen innerhalb der europäischen Nationen. Das erstere betraf vor allem Österreich-Ungarn. Für die Idee vom Sozialimperialismus lässt sich unter anderem der Brite Cecil Rodes anführen mit der Behauptung, dass sich der Bürgerkrieg nur vermeiden lasse, wenn man Imperialist würde, d.h. die Kolonien auszubeuten um die benachteiligten und ausgebeuteten Menschen im eigenen Land ruhig zu halten und ihnen außerdem das Gefühl der Überlegenheit zu geben. Hauptziel war es von den innenpolitischen Problemen abzulenken. Zu den innenpolitischen Konflikten traten wachsende Spannungen zwischen den Machtblöcken. Aus deutscher Sicht waren die Gegner der sogenannte „Erbfeind“ Frankreich, aber dann auch Großbritannien, das sich wegen des Aufbaus der deutschen Kriegsflotte mit Frankreich verbündete. Ebenso wie Russland, das sich wegen des deutschen Vormachtstrebens der Entente anschloss. Schließlich spielten noch psychologische Faktoren eine Rolle: Größenwahn, Illusionen über die Begrenzbarkeit des Krieges, Männlichkeitswahn,Kriegsromantik und Untertanengeist. Und nicht zu vergessen das Versagen der Eliten, die den Krieg geistig vorbereitet haben und die Verherrlichung des Krieges befördert haben.“
Redaktion: „Das ergibt eine brandgefährliche Mischung. Könnte man sagen, dass dasAttentat von Sarajevo nur der Funke war, der das Pulverfass dann zur Explosion brachte?“
Herr Mayer: „Nicht ganz. Das Bild hat ja etwas Zwangsläufiges, Unabänderliches, aber so
war es nicht. Österreich, allen voran der Generalstaatschef von Hötzendorf, sah in dem Attentat eine willkommene Chance zum Krieg gegen Serbien mit den Ziel, den zerrissenen Vielvölkerstaat wieder zu festigen. So kam es zu dem unannehmbaren Ultimatum an die serbische Regierung (die im übrigen nicht hinter dem Attentat stand) und letztlich zum Krieg, obwohl Serbien in extrem kurzer Frist und mit vielen Zugeständnissen auf das Ultimatum reagierte. Statt der österreichischen Führung einen „Blankoscheck“für ihr Vorgehen auszustellen, hätte die deutsche Reichsleitung mäßigend auf ihren Bündnispartner einweihen können, wenn sie den Krieg wirklich hätte verhindern wollen.“
Redaktion: „Wie konnte es passieren, dass aus den europäischen Konflikten ein solcher Weltbrand entstand?“
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Herr Mayer: „Diese Frage beantwortet sich teilweise durch das bereits erwähnte Hauptzielder Kolonialmächte ihr Imperium zu verteidigen bzw. zu erweitern, aber die Einflussfähren waren nicht nur Objekt der Begehre, sondern mussten ihrerseits auch an diesen Krieg mitwirken. Die männliche Bevölkerung in vielen Ländern musste für die Interessen ihres sogenannten „Mutterland“ kämpfen. Ein Thema, das erst in jüngster Zeit ins Bewusstsein gekommen ist.“
Redaktion: „Abschließend möchte ich die Frage stellen, wie sinnvoll es ist, sich 100 Jahre nach dem Weltkrieg über seine Entstehungsgeschichte zu beschäftigen?“
Herr Mayer: „Von dem Satz vom deutschen Philosophen und Schriftsteller Walter Benjamin „Vergangenes historisch artikulieren heißt nicht, es erkennen ́Wie es denn eigentlich gewesen ist ́. Es heißt, sich einer Erinnerung bemächtigen, wie sie im Augenblick einer Gefahr aufblitzt.“, ist die heutige Situation im manchen vergleichbar mit der im ersten Weltkrieg: Zum einen ist sie gekennzeichnet durch Weltmachtstreben, neue Formen des Kolonialismus, Kampf um die knapper werdenden Ressourcen, rasantere technologische
Entwicklungen. Außerdem einer wachsenden sozialen Kluft zwischen Arm und Reich innerhalb Industrieländern und zwischen Industrieländern und der sogenannten dritten Welt. Schließlich ist das Bedürfnis mancher Benachteiligter ihrerseits Opfer zu finden auf die sie heruntersehen können genauso groß. Die Erkenntnis die man aus der Situation vor dem 1. Weltkrieg erlangt, könnte darin bestehen, dass man ein Bewusstsein dafür entwickelt, zur heutigen Zeit nicht in die Fallen von der Vergangenheit hineintappt. Es ist wichtig, dass man in allem die Wahrheit herausfinden will und man sich nicht die Köpfe vernebeln lässt durch Fake-News oder sonstigem.“
Redaktion: „Es gäbe noch weitere Fragen, dennoch danke ich Ihnen herzlich für dieses Interview! Sie haben uns viele komplexe Informationen geliefert. Ich danke Ihnen für Ihre Zeit.“
Herr Mayer: „Ich danke Ihnen, dass Sie sich für einen kleinen Teil der deutschen Geschichte interessieren und Ihre Leser daran teilhaben lassen. Auf Wiedersehen!“
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