Der Fußball und seine Lieblinge – Werden Schiedsrichter zum Problem?
Es scheint, als würde jedes zweite Spiel durch den Schiedsrichter entschieden werden. Der Unmut über die Referees wird lauter, doch haben wir wirklich ein Schiedsrichter-Problem, und wenn ja woher kommt es so plötzlich? – Die Diskussion um den Videobeweis flammt weiter auf.
Vierzig Minuten sind gespielt, da ist Amiri auf dem Weg in Richtung Roman Weidenfeller. Hinter ihm ist Marco Reus, beide zerren aneinander, Amiri fällt. Für Benjamin Brandt und sein Team ein klares taktisches Foul, also zückt er die gelbe Karte. Für Marco Reus ist das die vorzeitige Dusche, er hat schon vorher gelb gesehen. Die Diskussionen in Talkshows, Internetportalen und Zeitungen schwappen über: in den Wiederholungen ist klar zu erkennen, dass Amiri zuerst Reus foult. Die gelb-rote Karte ist für die Borussen gleich der zweite Nackenschlag, der Gegentreffer zum 1:2 fiel nach einem klaren Schubser von Sandro Wagner. Selbst der Torschütze gesteht nach dem Spiel: „Wenn ich die Wiederholungen sehe, ist das ein Foul“. BVB-Boss Aki Watzke platzt beim Sky-Interview der Kragen: „Das ist unfassbar, unglaublich, das sind eklatante Fehlentscheidungen - so eine Schiedsrichterleistung."
Es ist nicht von der Hand zu weisen, dass sich die Diskussionen um Schiedsrichterentscheidungen häufen. Kein Spieltag in der Bundesliga kommt ohne eine fragwürdige Elfmetersituation oder eine nicht gegebene Rote Karte aus. Besonders ärgerlich für die Teams, wenn ein Spiel dann auch noch knapp verloren wird. Während die Fans auf den Referees rumreiten und „gute“ Spielleiter fordern, beteuern ehemalige Referees wie Markus Merk oder Peter Gagelmann immer wieder, wie schwierig es für die Schiris ist, strittige Situationen in Sekundenbruchteilen zu entscheiden. Handspiele im Strafraum oder knappe Abseitsentscheidungen sind wahrlich erst nach vielen Zeitlupen zu entschlüsseln, manchmal gibt es auch dann noch zwei Meinungen. Zu oft sind die vier Männer in Schwarz jedoch die einzigen im ganzen Stadion, die ein Foul falsch beurteilen. Wenn Spieler die Schiris zusätzlich an der Nase rumführen, wie Timo Werner am vergangenen Spieltag gegen Schalke, dann muss man sich die Frage stellen, ob der Videobeweis nicht zwingend notwendig ist.
Viele Fußballfans stellen sich stur dagegen, die Fußballromantik würde verloren gehen, Fehlentscheidungen gehörten dazu. Doch wenn ihr Team dann einen Elfmeter in der 90. Minute verwehrt bekommt, liegt die nächste Prügelei vor dem Stadion schon in der Luft. Es wäre kein allzu großes Problem, bei einem Elfmeter oder einer Tätlichkeit kurz einen Blick auf den Monitor zu werfen, wie es beispielsweise in der NFL beim American Football der Fall ist. Eine kurze Unterbrechung von nicht mal einer Minute und schon sind ist die Sache (zu 99%) geklärt. Wenn es dennoch nicht klar sein sollte, steht die vorherige Entscheidung des Unparteiischen. Gegenspieler des Videobeweises fürchten eine Zerstückelung des Spiels, so würde doch bei jeder Situation der Videobeweis gefordert. Um dem Beispiel der Amerikaner zu folgen, ist es wohl das klügste, wenn jedes Team pro Halbzeit ein oder zwei Mal die Gelegenheit hat, den Videobeweis einzufordern. Rechnen wir das hoch, kommen maximal vier Minuten Unterbrechung zusammen. Nachspielzeiten von bis zu sechs Minuten sind keine Seltenheit, das Spiel wird also kaum beeinträchtigt.
Eine weitere Frage ist die Festanstellung von Schiedsrichtern. Bisher ist die Spielleitung nur ein Nebenjob, zugegeben ein gut bezahlter, doch wären Wolfgang Stark, Felix Brych oder Manuel Gräfe bei voller Konzentration auf den Fußball vielleicht bessere Spielentscheider? Die Frage ist so nicht zu beantworten, sieht man sich aber wieder die NFL als Beispiel an, dann ist der Unterschied zwischen fest angestellten und vergleichsweise amateurhaften Schiedsrichtern doch eklatant, offensichtlich zu beobachten beim Streik vor ein paar Jahren. Selbst nach etlichen Zeitlupen wurde beispielsweise Sekunden vor dem Ende ein sehr fragwürdiger Touchdown für die „Seattle Seahwaks“ gegen die „Green Bay Packers“ gegeben, sodass sie gewannen (auch bekannt als „Fail Mary“). Zugegeben, in dieser Phase der NFL standen Laien auf dem Spielfeld, die Schiedsrichter in der Bundesliga kann man getrost als Profis bezeichnen. Die Frage bleibt also wohl erstmal ungeklärt.
Der Videobeweis ist für die Bundesliga und die Zukunft des Fußballs, aufgrund des immer schneller werdenden Spiels und den mit dem Auge kaum noch zu sehenden Situationen, unabdingbar. Um die Leitfrage zu beantworten: Ja, wir haben ein Schiedsrichter-Problem, aber nur wenn der Videobeweis nicht eingeführt wird. Und wer immer noch fürchtet, der Fußball verliere so seine Romantik, der hat die Entwicklung vom Standfußball aus den 50-er Jahren zum heutigen Tempofußball nicht mitbekommen.
Von Jannik Schlüter
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17.12.2016 |
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