„Du sprichst aber ein gutes Deutsch. Kommst du aus Deutschland?“. Neugierig beugt sich meine Sitznachbarin im Seminar nach einem Wortbeitrag meinerseits zu mir herüber. Ich bin es ja gewohnt, schnell als Piefke enttarnt zu werden, aber ein Verweis auf mein „gutes“ Deutsch kam dann doch etwas unerwartet. Ich gebe zu, mein Deutsch könnte man tatsächlich als ein sehr klares und deutliches bezeichnen, wenn man bedenkt, wo ich herkomme. |
Heute lebe ich Wien. Etwa 700 km östlich vom Bibbeliskäs-Areal in der Stadt der Krautfleckerln und des Soda Zitron. Dass Tüte hier Sackerl heißt – geschenkt. Auch dass man hier nicht mit einem Lumpen sondern mit einem Fetzen putzt, Fetzen aber auch sowohl für einen Rausch, als auch für eine sechs im Mathetest stehen kann, habe ich schnell gelernt. Manches war anfangs aber etwas gewöhnungsbedürftig, wie zum Beispiel die vielfältig einsetzbare Wendung es geht sich (nicht) aus oder seltsame Ausdrücke wie leiwand (mit Elativform urleiwand) oder sich fadisieren und überhaupt das Wörtchen fad. Einige Wörter sind aber durchaus meinem Heimatdialekt nicht unähnlich: dort ist das Weckerl ein Weckle, die Stiegen sind d’Stecke und auch dort hängt man seine Kleidung in einen Kaschte und niemals in einen Schrank.
Trotz der vielen Unterschiede war mir das Wienerische von Anfang an irgendwie sympathisch. Tatsächlich habe ich vor meinem Umzug nur wenig über die Sprachen Österreichs gewusst und konnte die Sprache des Kommissar Rex kaum von der Münchner Mundart unterscheiden. Von Freunden habe ich gehört, dass die Wiener stets genervt klingen. Ganz im Gegenteil empfinde ich das Wienerische als angenehm und herzlich. Dennoch kam bei mir kurze Zeit nach meiner Ankunft in Wien das Bedürfnis auf, meine Schwarzwälder Identität zu stärken. Da ich weder gut genug backen kann, um eine Schwarzwälder Kirschtorte zu backen, noch einen Bollenhut besitze, beschloss ich, meinen Heimatdialekt wieder auszupacken und ihn subtil in meine alltägliche Kommunikation einfließen zu lassen. Ich begann zunächst, gemäß der phonologischen Gesetzmäßigkeiten des Sandärgemerischen, jegliche s in st und sp durch sch’s zu ersetzen. Demzufolge lautet auch die Konjugation des Verbs sein: ich bin, du bisch, er/sie/es isch, mir sinn, ihr seid, sie sinn. Nachdem ich mit dieser Variation im Alltag gut zurechtkam, ging ich einen Schritt weiter, aber leider zogen Äußerungen wie „Entschuldigung, wo isch bitte die näggschde Poscht?“ oder „Du, ich find mei Federmäpple net, häsch du’s oamats gsehe?“ stets mehr irritierte Blicke als hilfreiche Antworten nach sich und so ließ ich das Experiment resigniert auf sich beruhen. Also lieber zurück zum „deutschländischen“ Hochdeutsch.
Oder vielleicht doch nicht. Ein ganz anderes Erlebnis habe ich nämlich nach einem Gottesdienstbesuch gemacht, in dem ich – man will sich ja schließlich integrieren - die Schriftlesung übernommen hatte. Da wurde ich tatsächlich von einem Jungen meines Alters auf meine „unangenehme“ Vortragsweise angesprochen, die ihn sehr an „deutsche Nachrichtensprecher“ erinnerte und ihm deshalb irgendwie überheblich erschien. Dass die „deutschländische“ Hochsprache für viele Österreicher einen prätentiösen Touch hat, habe ich auch schon an anderer Stelle bemerkt. Einmal zum Beispiel diskutierte ich in einer internationalen Gruppe, welcher Begriff in Österreich als Alternative zu dem Teutonismus lecker akzeptiert wird. Als das Wort köstlich eingeworfen wurde, meinte eine der anwesenden Österreicherinnen empört: „Naa, sowas würde man nur in Deutschland sagen!“. Klar, genauso redet man an deutschen Esstischen. Wahlweise kann man auch deliziös sagen, oder „das Mahl ist vorzüglich, werte Mutter“. Ironie Ende.
Aber wie soll ich denn nun sprechen? In meinem Schwarzwälder Dialekt? Dann laufe ich einerseits Gefahr, nicht verstanden zu werden, andererseits fühle ich mich im außerfamiliären Kontext nicht wirklich wohl, wenn ich breites Sandärgemerisch schwätze. Außerdem möchte ich nie in die Verlegenheit geraten, Wienerle am Würstelstand zu ordern (zum Glück bin ich Vegetarierin). Oder ich spreche doch so wie die „deutschländischen“ Nachrichtensprecher, mit dem Risiko, als arrogant zu gelten. Eine andere Möglichkeit wäre natürlich, das Wienerische (abgesehen von den Wörtern, die eh schon in meinen Wortschatz gewandert sind) möglichst genau auch hinsichtlich der Aussprache zu imitieren. Also nochmal auf YouTube ein paar alte Folgen Herzblatt mit Rainhard Fendrich anschauen und dann kann ich mich vorstellen: „Grüß Gott, ich häiße Monja, bin oas’m Schwarzwald und jetz scheiß di ned oan, gemma ins Beisl… oida“. Allerspätestens beim richtig schön falsch artikulierten Meidlinger l kriegt jeder Wiener und jede Wienerin das große Kotzen und ich kann es nicht einmal verübeln. Oder er oder sie denkt, ich mache mich lustig. Ich lasse das lieber.
Ich befürchte, die richtige Lösung ist nicht so leicht zu finden. Das liegt womöglich daran, dass die verschiedenen Varietäten des Deutschen, wie vermutlich auch in anderen Sprachräumen, sehr wertbesetzt ist. Auch die Ignoranz einiger Deutschsprecher ist daran nicht unschuldig. So glauben doch einige (vor allem deutsche Staatsbürger), dass das einzig wahre, das richtige Standarddeutsch das ist, was in der Bundesrepublik zum Beispiel in Hannover gesprochen wird. „Das Österreichische“ und „das Schweizerdeutsche“ sind ihrer Meinung nach Dialekte wie Schwäbisch, Sächsisch und Hessisch und werden eher in den niederen sozialen Schichten und in eher ungebildeten Kreisen gesprochen. Diese Ansicht ist genauso überholt und kurzsichtig gedacht wie die, dass es ein Standarddeutsch gibt. Deutsch ist eine plurizentrische Sprache. Das bedeutet, dass es eben nicht nur eine, sondern mindestens drei Standardvarietäten gibt: deutsches, österreichisches und schweizer Standarddeutsch. Auch wenn die bundesdeutsche Varietät rein zahlenmäßig dominiert, sind alle drei Standardvarietäten als gleichwertig zu betrachten uns sind per definitionem standardsprachlich. Daneben gibt es natürlich auch zahlreiche Dialekte, die aber keineswegs an eine soziale Schicht gebunden sind, und vielmehr situativ angepasst verwendet werden. Aus diesem Grund ist auch die Frage meiner österreichischen Kommilitonin, ob ich mit meinem „guten“ Deutsch wohl aus Deutschland komme, total absurd.
Meine Zweifel, welchen Dialekt ich im Alltag sprechen soll, bestehen weiterhin. Ungern möchte ich auf „leckere“ Speisen verzichten. Ich mag das Wort lecker einfach. Außerdem finde ich den Gedanken schön, seinen Sprachgebrauch aus verschiedenen Varietäten zu bereichern. Denn weder in meinem Heimatdialekt noch im „deutschländischen“ Hochdeutsch gibt es so ein wunderbares Wort wie zach. Und auch der Fleischhauer ist doch ein sehr viel wohlklingenderer und bildhafterer Ausdruck als Metzger. Gerade erst gestern wurde mir die großartige Drohung „du rüttelst am Watschenbaum“ beigebracht, die ich in meinem zukünftigen Sprachgebrauch nicht missen will. Also bleibe ich doch bei dem, wobei ich am Wohlsten fühle: ein leicht sandärgemerisch eingefärbtes „Deuschlandstandarddeutsch". Und liebe Wiener, bitte nehmt es mir nicht übel, wenn ich eure leiwanden Begriffe übernehme und falsch ausspreche. Ich mache das nicht mit Absicht, oida!
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