Politik und Fußball – Passt nicht zusammen? Gehört aber zusammen! |
||
Online-ZeitungNummer 1 |
08.12.2015 |
25.731 jubelnde Zuschauer, 22 Spieler, ein Ball. Am 8. September 2015 im Paulianer Millerntor-Stadion sah beim Testspiel zwischen dem FC St. Pauli und dem Ballspielverein Borussia aus Dortmund alles nach einem gewöhnlichen Testspiel zweier deutscher Profifußball-Vereine aus. Doch genau das war nicht der Fall.
„Der Fußball“ ist als Sport des Volkes bekannt. Menschen unabhängig ihrer Herkunft, ihres Glaubens oder ihrer politischen Gesinnung treffen sich wöchentlich im Stadion, um ihre Helden auf dem grünen Geläuf anzufeuern. Eine unpolitische Bühne multikultureller Freundschaft will man meinen, alle für einen und einer für alle, Zusammenhalt und gegenseitige Unterstützung gelten hier als klassische Tugenden. Doch genau das ist leider nicht immer der Fall. Rechtsradikale Tendenzen in der Fanszene sind Realität. Auch heute noch, lange nach der Blütezeit von rechtsorientierten Gruppierungen im Fußball, wird die Anonymität der Tribünen ausgenutzt, um politisch fragwürdige Orientierungen und Fremdenhass auszuleben. Ob in Form von Angriffen auf „normale“ Fans im Stadion und Stadionumfeld, beim Zeigen von Bannern mit rechtsradikalen Sprüchen oder beim Brüllen von Parolen und Anfeinden anderer Fans. So zum Beispiel beim Testspiel der zweiten Mannschaft des BVB am 9. Juni 2015 in Lünen, wo Anhänger der Borussenfront mit Mitgliedern der linksorientierten Ultra-Gruppe „The Unity“ aneinandergerieten. Eben jene Borussenfront prägt die Vereinsgeschichte der Borussia aber bereits seit über 30 Jahren.
Die Borussenfront und ihr Mitbegründer, Leader und lange Jahre bekanntester Akteur, Sigfried „SS-Siggi“ Borchardt stellen den wahrscheinlich dunkelsten Fetzen einer über 100-Jahre-alten Vereinsgeschichte des BVB dar. 1982 in der Kneipe „Grobschmied“ von verschiedenen rechtsgesinnten Fan-Gruppierungen der Borussia gegründet, bedrohte die Borussenfront den Fußball und dessen Tugenden im Raum Dortmund. Als Mission wurde anfangs vor allem die Wirkung als „Schutztruppe für Dortmunder Fußballfans […], die eben ohne die Borussenfront früher auswärts Prügel bezogen hätten“ angepriesen. Bei Prozessen wurde stets die Schuld bei gegnerischen Fans gesucht oder Ausländer hätten provoziert und Schlägereien begonnen. Mitte der 80er Jahre versuchte man, die im Stadion ausgelebte, politische Gesinnung auch offiziell zu vertreten. So wurde Borchardt als Kopf der Borussenfront nun auch politisch aktiv und wirkte unter anderem als Spitzenkandidat der FAP. Zwischen 1987 und 1992 saß er zudem mehrere Haftstraften ab.
Nach dem Verbot der FAP 1995 findet Borchardt Anschluss an die Kameradschaftsszene, unterstützt wird er dabei von zwei neuen Gesichtern rechtspolitischer Aktivität im Raum Dortmund: Christian Worch und Dennis Giemsch. Eine gemeinsame Vergangenheit der drei in der „Kameradschaft Dortmund“ mündete in einer Zusammenarbeit für den „Nationalen Widerstand Dortmund“ (NWDO). Die Borussenfront wurde nun wieder zunehmend aktiver, erste Kontakte zur jüngeren BVB-Fanszene wurde geknüpft. So wurde bei einer Durchsuchung der NWDO-Räumlichkeiten im August 2012 Werbematerial der „Desperados“, einer bekannten Dortmunder Ultra-Gruppierung, gefunden. Nach dem Verbot der NWDO am 23. August 2012 trat Borchardt der Partei „Die Rechte“ bei, für die er zwischen Mai und Juli 2014 sogar im Stadtrat Dortmunds saß.
Borussia Dortmund weist eine langjährige, braune Vergangenheit innerhalb der Fanstrukturen auf. Doch bereits seit 2009 versucht man, effektiver und öffentlichkeitswirksamer dagegen vorzugehen. Bereits seit einigen Jahren findet beim BVB eine Selbstreinigung vor allem innerhalb der Fanszene statt. Ultra-Gruppen wie „The Unity“ fallen zwar auch nicht selten negativ auf, jedoch keinesfalls auf politischer Ebene. So wird sich trotz allem Bengalo-Gezünde und Derby-Geprügele stets für Gleichheit, Akzeptanz und Willkommenskultur eingesetzt. Doch auch der Verein setzte mit Projekten, wie „90 Minuten gegen Rechts“ ein klares Statement. Fortbildungs- und Aufklärungsseminare für Erwachsene, Jugendliche und Kinder werden zur präventiven Arbeit gegen Rechtsradikalismus angeboten. Die BVB-Stiftung „Leuchte auf“ unterstützt Hilfsprojekte aller Art, weltweit. Humanität und Menschlichkeit stehen im Vordergrund, dafür spricht auch die Gründung der „Machbarschaft Borsig11 e.V.“ 2013, welche die Förderung versteckter Talente bei Kindern und Jugendlichen fokussiert, unabhängig der Herkunft oder des Glaubens.
Neven Subotic, Spieler des BVB mit Flüchtlingshintergrund engagiert sich bereits seit 2008 sozial, seit 2013 mit seiner eigenen Stiftung, der „Neven-Subotic-Stiftung“. Ziel ist die globale Entwicklungs- und Ersthilfe. So wurden bereits Brunnensysteme in Äthiopien gebaut, ebenso findet seit Herbst 2014 eine intensive Beteiligung am Projekt „Wir helfen Flüchtlingen“ der Welthungerhilfe statt. Die Lieferung von Hilfsgütern sowie die Verpflegung und Unterbringung von Geflüchteten aus zum Beispiel Syrien sind nur ein kleiner Teil der Arbeit. Insgesamt setzen Verein, Fans und Spieler also ein klares Statement gegen Rassismus und für Toleranz und Nächstenliebe. Man hat sich der eigenen Vergangenheit gestellt und aus dieser gelernt.
Die große Frage, die sich mir persönlich stellt, ist: Inwiefern können andere Vereine, insbesondere wie mein Heimatverein, der 1. FC Magdeburg, daraus lernen? Nicht selten werde ich das Gefühl nicht los, dass man bei allem Aufwind nach Aufstieg in den Profifußball und kollektiver Begeisterung in der Stadt versucht, die Probleme mit der eigenen Fanszene zu verdrängen. Ich spreche dabei weniger von der Gewaltbereitschaft gegenüber Ultra-Gruppierungen anderer Vereine, denn diese beruht auf Gegenseitigkeit. Auch beziehe ich mich hierbei nicht auf die immer wieder in der Kritik stehenden Pyro-Aktionen. Das politische Statement des Vereins beschert mir Sorgenfalten! Wieso bezieht man nicht klar Stellung gegenüber rechtsradikalen Tendenzen? Warum kann man es Vereinen, wie dem BVB nicht gleichtun und ein klares Statement setzen: Wir sind für Willkommenskultur, wir sind gegen Fremdenhass und wer diese Meinung nicht teilt, gehört nicht zu uns! Die Zusammensetzung Magdeburger Ultra-Gruppierungen gilt allgemein als gemischt, links- sowie rechtsextreme Tendenzen sind zu erkennen. Jedoch frage ich mich, ob aus dem aktuellen Aufwind und der kollektiven Unterstützung aller Magdeburger für den Verein nicht die politische Verantwortung resultiert, sich klar zu positionieren. Eine Professionalisierung des Vereines muss auf allen Ebenen stattfinden, eben auch in der politischen Positionierung. Spieler, wie Ahmed Waseem Razeek werden ja auch von allen FCM-Fans angefeuert. Doch stellt sich da für mich die Frage, wie jemand in der einen Sekunde einen Spieler mit sri-lankischen Wurzeln anfeuern und in der anderen Sekunde verteufeln kann. Eine klare und starke Positionierung des Vereins und der größten Fangruppen, wie dem Block U, würde es Menschen wie mir, die klar für Willkommenskultur und gegen Fremdenhass sind, einfacher machen, für den Verein einzustehen.
Politik und Fußball gehören zwangsläufig zusammen, was auch der Popularität des Fußballs in Deutschland geschuldet ist. Um die Tugenden des Fußballs: Zusammenhalt, Leidenschaft, Toleranz und Fairness zu bewahren, ist ein klares politisches Statement aller Vereine Deutschlands Pflicht! Hierbei müssen sich die Vereine nicht für ein politisches Idealbild einsetzen, jedoch aber für Gleichberechtigung in jeder Hinsicht, um somit nicht nur ein politisches Statement zu setzen, sondern auch eines für die Menschlichkeit.
|