Ein Engel in zivil Immer wieder hören oder lesen wir von ihnen: Die Rede ist von U-Bahn-Schlägern oder sonstigen Gewaltätern, die wieder einmal einen unschuldigen Menschen ohne jeden Grund angegriffen, zu Boden geschlagen und vielleicht sogar getötet haben. Nahezu jeder kann Opfer einer solchen Attacke werden und ist dann oft hilflos der Gewalt ausgesetzt, besonders, wenn keine Menschen in der Nähe sind, die helfen können. Wenn niemand eingreift oder eingreifen kann, passiert im schlimmsten Fall das, was dem damals 23-jährigen Giuseppe M. passierte, dessen Schicksal im September diesen Jahres durch die Medien ging: Als der Berliner und sein Freund Raoul an einem Samstagmorgen um 4:50 Uhr in der U-Bahn von drei Unbekannten angepöbelt werden und die Situation eskaliert, verhalten sich die beiden völlig richtig, steigen aus dem Zug aus und versuchen, den Schlägern in zwei verschiedene Richtungen zu entkommen. Raoul hat Glück und schafft es, zu flüchten. Aber Giuseppe rennt in Panik auf eine Straße und wird von einem Auto erfasst, dessen Fahrer nicht mehr rechtzeitig bremsen kann. Giuseppe wird von der Wucht gegen einen Ampelmast geschleudert und stirbt trotz Wiederbelebungsversuche seines Freundes und der inzwischen eingetroffenen Sanitäter noch auf dem Asphalt. Das ist zwar ein Extrembeispiel, aber es zeigt, wie schnell aus normalen Menschen Opfer werden können. Doch es muss gar nicht unbedingt ein Verbrechen sein, das das schnelle Handeln von Menschen unabdingbar macht: Leider fährt ein großer Teil von Autofahrern einfach an einem schwer beschädigten Fahrzeug, bei dem sogar noch offensichtlich verletzte Insassen liegen und Hilfe benötigen, vorbei. Dieses Verhalten wurde in vielen Versuchen bewiesen. Zivilcourage gilt es also in den verschiedensten Situationen und Formen zu zeigen. Der alten, Einkaufstüten schleppenden Oma Wiltraud von nebenan muss deshalb genauso geholfen werden wie dem Jungen aus der Parallelklasse im Bus, der von den beiden Männern drangsaliert wird. Wenn keine Menschen vor Ort sind, dann ist man völlig hilflos. Trotzdem passiert es immer wieder, dass in der Öffentlichkeit Leute vor den Augen von Passanten Opfer von Kriminalität werden. Oder dass Unfallverletzte am Straßenrand links liegen gelassen werden. Die Angst vor dem Helfen Warum schauen so viele einfach weg anstatt einzuschreiten? Ein sehr wichtiger Faktor ist oft die eigene Unsicherheit oder die Angst, selbst vom Helfer zum Opfer zu werden. Weil viele überhaupt nicht wissen, wie man sich in solchen Situationen verhalten muss und weil die eben benannte Angst nicht unberechtigt ist, findet oftmals keine Reaktion statt, obwohl das Gefühl für Gerechtigkeit etwas völlig anderes sagt. Andererseits ist eine übereilte Entscheidung zum Helfen auch nicht gut, weil sich der Helfer dann selbst in Gefahr bringt. Deswegen sollte man immer zuerst auch Andere auf die Situation aufmerksam machen und wenn möglich die Polizei oder einen Rettungsdienst informieren, bevor man aktiv in das Geschehen eingreift. Neben dieser Unsicherheit, wie man mit einer Gefahrensituation umgehen soll, gibt es noch ein weiteres Problem, welches Menschen dazu bringt, nicht zu helfen: Forscher haben nämlich herausgefunden, dass, je mehr potentielle Helfer vorhanden sind, desto weniger Leute tatsächlich helfen. Das ist so zu erklären: Wenn mehrere Menschen Zeugen von Mobbing oder sogar Gewalt werden, dann verteilt sich die Verantwortung auf alle. So fühlt sich der Einzelne nicht wirklich zuständig und ignoriert die Situation, als ginge sie ihn nichts an. Aber es würde oftmals schon reichen, wenn sich eine einzelne Person aus dieser Starre lösen und die Hemmschwelle überschreiten würde. Falls aber keiner das tut, ist das gleich doppelt schlecht, weil erstens wertvolle Zeit vergeht und sich die potentiellen Helfer gegenseitig als negatives Vorbild dienen. "Wenn alle anderen nichts unternehmen, dann kann die Situation ja nicht so schlimm sein", denken dann alle unbewusst. Hier ein Beispiel: Ein Autofahrer, der einen Unfallwagen am Straßenrand sieht, hält oft nicht an, weil das Auto vor ihm das auch nicht getan hat. "So schlimm ist es wohl nicht, sonst hätte der vor mir doch wohl angehalten", sagt das Unterbewusstsein. Dann schaut er in den Rückspiegel und sieht, dass hinter ihm auch noch ein Wagen ist, der ja eigentlich auch anhalten könnte, wenn es doch brenzliger ist als gedacht. Indem er weiterfährt, gibt er die Verantwortung ganz leicht an den nächsten Fahrer weiter. Hier hilft nur, sich als Erster zu trauen und als positives Vorbild zu dienen, damit andere auch helfen. Am Ende kann jeder nur froh sein, wenn er oder sie niemals in die Situation gerät, auf die Hilfe seiner Mitmenschen so dringend angewiesen zu sein. Denn jeder kann überall zu jeder Zeit von Fremden angepöbelt und angegriffen oder Opfer eines Unfalls werden. Und dann ist das wichtigste, dass ein anderer Mensch als Vorbild für andere dient, Zivilcourage zeigt und so hilft, wie er selbst Hilfe erwarten würde.
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2009 wurde ganz Deutschland in seinen Grundfesten erschüttert: Der Manager Dominik Brunner wurde auf einem Münchener Banhsteig von zwei Jugendlichen brutal ermordet, weil einer Gruppe jüngerer Schüler gegen die Gewalttäter helfen wollte! Er hatte in der Bahn beobachtet, wie die drei Jugendlichen die Kinder bedroht und geschlagen haben und konnte nicht einfach wegsehen. Er alarmierte die Polizei und eilte dann den Kindern zu Hilfe. Die Jugendlichen schlugen und traten sofort auf ihn ein und ließen nicht von ihm ab, selbst als er schon auf dem Boden lag. Er erlag später in einem Krankenhaus einem Herzstillstand. Ihm konnte keiner mehr helfen. Er erhielt zwar post mortum verschiedene Ehrungen für seinen selbstlosen Einsatz, doch macht ihn das auch nicht wieder lebendig.
Dieser Fall löste in Deutschland großes Entsetzen aus. Keine Hilfeleistungen sollte tödlich enden, und deswegen fragt sich jeder, warum die Menschen in Nähe damals nichts unternommen haben. Vielleicht wäre Dominik Brunner noch am Leben.
Mit dieser Tat wurde die Diskussion um die gegenseitige Hilfe nun auch in der Öffentlichkeit angestoßen. Das Wort „Zivilcourage“ war plötzlich in aller Munde.
Seit dem laufen in Bussen und Bahnen verschiedene Kampagnen, um den Menschen die Wichtigkeit von Zivilcourage nahe zu bringen.
Es bleibt zu hoffen, dass solche schrecklichen Schicksale sich nicht wiedeholen und die Menschen im Notfall doch über ihren Schatten zu springen.
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