Text und Bilder: Nele Jensch „87, Pänz, K. Schw.“, steht auf dem Zettel, den Vanessa an einen abgewetzten lila Einkaufstrolley heftet. Was anmutet wie ein kryptischer Code, ist Alltag für die Mitarbeiter der Lebensmittelausgabe im Bürgerhaus „Die Mütze“ in Köln-Mühlheim: Die Nummer bezeichnet die Reihenfolge, mit der Bedürftige morgens ihre Tüte oder ihren Einkaufstrolley abgeben, „Pänz“ heißt im rheinländischen Dialekt Kinder. „Die Abkürzung 'K. Schw.' bedeutet, dass der Besitzer der Tüte Muslim ist und deshalb kein Schweinefleisch möchte“, erläutert die 16-jährige ehrenamtliche Mitarbeiterin Vanessa. Ab 17 Uhr können die Tüten wieder abgeholt werden, dann gefüllt mit Brot, Obst, Gemüse sowie einigen Fleisch- und Milchprodukten, die von Supermärkten in der Umgebung gespendet werden; Tüten, auf denen „Pänz“ steht, bekommen einen Sack Kartoffeln oder ein paar Äpfel extra. „Heute sind leider ziemlich wenig Lebensmittel geliefert worden, und wir müssen 150 Menschen versorgen. Wir schicken niemanden weg, der bedürftig ist; wenn mehr kommen, muss es eben für mehr reichen“, erklärt Hans Leiseifer, Leiter des sozialen Bereichs der „Mütze“, der fast jeden der Wartenden mit Namen kennt. In letzter Zeit werden hier in Kooperation mit der Kölner Tafel nicht nur Mühlheimer versorgt, sondern auch immer mehr Flüchtlinge, die aus anderen Stadtteilen zur kostenlosen Lebensmittelausgabe kommen. „Aus dem Flüchtlingsheim in der Herkulesstraße auf der anderen Rheinseite kommen immer wieder Bewohner, obwohl dort Vollverpflegung besteht“, erzählt Leiseifer. Auch an diesem Tag stehen mehrere Heimbewohner in der Schlange, um ihre Tüte abzugeben: Eine Frau aus der Mongolei kramt nervös ihren Pass hervor, als sie gefragt wird, warum sie das Angebot der Lebensmittelausgabe in Anspruch nimmt; das Missverständnis kann nur mit Zeichensprache geklärt werden, da sie weder Deutsch noch Englisch spricht. Die Flüchtlingsunterkunft in der Herkulesstraße ist die größte Kölns und berühmt-berüchtigt: Wie so viele Unterbringungen für Asylsuchende ist das Heim überfüllt, Berichten zufolge müssen einige Bewohner auf den Fluren schlafen. Anfang November führte die Polizei auf der Suche nach Taschen- und Ladendieben eine Großrazzia in der Herkulesstraße durch, Bewohner klagen über |
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Drangsalierungen durch Mitbewohner. Auch die Versorgung der Flüchtlinge steht in der Kritik: Flucht und Vertreibung weltweit Momentan sind nach Schätzungen der UNO mehr als 50 Millionen Menschen weltweit auf der Flucht. Kriege, Hunger, politische Verfolgung, Armut – die Gründe für die Flucht sind vielfältig. Die meisten Flüchtlinge bleiben in ihrem eigenen Land oder suchen in einem Nachbarland Schutz, nur die Wenigsten können es sich leisten, weite Distanzen bis nach Europa oder Nordamerika zurück zu legen. So nehmen Staaten wie der Libanon oder Kenia sehr viel mehr Flüchtlinge auf als die reichen Länder des Westens. Diese schotten sich immer stärker ab: Die USA sichert einen Teil ihrer Grenze zu Mexiko mit einer Mauer, die EU hat mit Frontex eine staatenübergreifende Agentur geschaffen, die ihre Außengrenzen mit moderner Technik überwacht, um Flüchtlinge abzufangen. Schätzungen zufolge sind 2014 bereits mehr als 3000 Menschen bei dem Versuch, Europa zu erreichen, im Mittelmeer ertrunken. "Die Verpflegung in der Herkulesstraße soll nach Aussagen von Flüchtlingen, mit denen ich gesprochen habe, schlecht sein", sagt |
Claus-Ulrich Prölß vom Flüchtlingsrat Köln. „Ich habe selbst mal einen Speiseplan gesehen: Zum Frühstück gab es abgepackten Toast, abgepackte Butter und abgepackten Schmelzkäse, dazu Orangennektar sowie Tee und Kaffee. Mittags stand immer Suppe auf dem Plan, das war das warme Essen des Tages, abends gab es noch einmal Brot mit Schmelzkäse und Wurst, ab und zu auch Obst. Ich glaube, da gibt es noch einige Möglichkeiten zur Verbesserung“, so Prölß. Dass Bewohner des Heims die Angebote der Tafel in Anspruch nehmen, spreche ebenfalls dafür, dass ihre Grundbedürfnisse nicht erfüllt würden. Fortsetzung auf Seite 2 |
Der Tag |
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Online-Zeitung |
28.11.2014, Seite 1
Überforderte Kommunen
Online-Zeitung für Deutschland
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