09.10.14 Prozess in Lübeck
Hamburger Ärztin wegen fahrlässiger Tötung vor Gericht
Die Ärztin soll einem psychisch kranken Mann ohne weitere Untersuchung das Verlassen einer Klinik in Geesthacht erlaubt haben. Kurz darauf hatte der Mann unter Wahnvorstellungen seine Mutter mit einer Schere erstochen.
Lübeck. Vor dem Lübecker Landgericht muss sich seit Montag eine Oberärztin der Psychiatrie in Geesthacht bei Hamburg wegen fahrlässiger Tötung verantworten. Die 54-Jährige hatte Anfang des Jahres einen psychisch kranken Mann aus dem Krankenhaus beurlaubt, obwohl er wenige Stunden zuvor angekündigt hatte, seine Mutter töten zu müssen. Vom Krankenhaus aus ging er geradewegs zur Wohnung seiner Mutter und stach ihr mit einer Schere 16 mal ins Herz. Mit ihrem Handeln habe die Angeklagte gegen die Regeln der ärztlichen Kunst verstoßen, sagte der Staatsanwalt am Montag vor dem Lübecker Landgericht.
Einen Antrag auf Vertagung der Hauptverhandlung, den die Verteidiger der Ärztin zu Prozessbeginn stellten, wurde vom Gericht abgelehnt. Die Anwälte hatten bemängelt, dass sie die Krankenakten des Patienten nicht hatten einsehen dürfen. "Das ist eine schreckliche Geschichte, die meine Mandantin sehr belastet. Aber man kann 17 Jahre Krankengeschichte nicht auf ein paar Stunden eindampfen und meiner Mandantin die alleinige Verantwortung zuschieben", sagte Rechtsanwalt Johannes Altenburg, einer der drei Verteidiger der Angeklagten. Der 31-jährige Patient leidet seit seinem vierzehnten Lebensjahr unter Psychosen und Wahnvorstellungen. Wegen Totschlags im Zustand der Schuldunfähigkeit war er im Juli 2013 vom Landgericht in die Psychiatrie eingewiesen worden.
In der Nacht zum 2. Januar hatten ihn Polizisten in die psychiatrische Abteilung des Johanniter-Krankenhauses in Geesthacht (Kreis Herzogtum Lauenburg) gebracht. In einem Linienbus hatte er davon gesprochen, Stimmen zu hören, die ihm befehlen, seine in Geesthacht lebende Mutter und auch sich selbst zu töten. "Er willigte sofort ein, mit ins Krankenhaus zu kommen. Auf der Fahrt dorthin sprach er wieder von den Stimmen und ihren Befehlen und er sagte auch, dass er Hilfe brauche", sagte einer der Polizeibeamten aus.
Die Ärztin habe von den Wahnvorstellungen des Patienten gewusst, schilderten am Montag drei Krankenschwestern. Sie hatten in der Nacht zum 2. Januar Dienst in der Psychiatrie. Eine von ihnen betonte, sie habe die Angeklagte dreimal über die Gründe informiert, die zur Aufnahme des Patienten geführt hatten. Dennoch ließ die Ärztin ihn am nächsten Morgen gehen, als er darum bat. "Sie fragte mich, ob es einen Unterbringungsbeschluss für ihn gebe. Als ich das verneinte, sagte sie, ich solle ihn gehen lassen", berichtete eine Krankenschwester der Frühschicht.
Nach Aussagen der Zeugin hatte die Ärztin nicht noch einmal mit dem Patienten gesprochen, bevor sie ihn gehen ließ. Für die Verteidigung stellt sich jedoch die Frage, ob das einen Unterschied gemacht hätte. Alle Zeugen hätten den 31-Jährigen als ruhig, beherrscht und höflich geschildert. "Wie hätte die Angeklagte da seine wahren Absichten erkennen können", sagte Altenburg. Der renommierte Strafverteidiger der Ärztin forderte, dass das Gericht eine eigenverantwortliche Selbstgefährdung der Mutter in Erwägung ziehen müsse. Diese habe immerhin ihren Sohn freiwillig eingelassen, obwohl sie von seinen Wahnvorstellungen und seiner Neigung zur Gewalttätigkeit gewusst habe. Daraufhin kam es zu Tumulten im Zuschauerraum. Die Verhandlung musste unterbrochen werden und wird an diesem Mittwoch fortgesetzt. os
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Sonnabend/Sonntag, 11./12. Oktober 2014
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